Über Lemberg sind wir Anfang Januar 1944 mit dem Zug nach Odessa transportiert worden. Ich war gerade 18 Jahre alt geworden, und hatte vorher eine Kurzausbildung als Fernsprecher bekommen. Man hatte schon zu viele verheizt, da fehlte die Zeit für eine ordentliche Ausbildung.
Der Transport ging langsam voran. Inzwischen, denke ich, war es Anfang März, und es war schön warm. In Odessa sahen wir viele schöne Dinge, die es in Deutschland zu dieser Zeit bereits nicht mehr gab. Besonders in Erinnerung sind mir übergroße Seifenstücke in leuchtenden Farben, rosa, hellblau und gelb. Auch übergroße Semmeln, oder vielleicht waren es kleine Weißbrote, längs aufgeschnitten, mit einer eingelegten dicken warmen Wurst. Ich habe nichts gekauft. War in der Leihbücherei für Soldaten, und habe dort nach einem Bergbuch gesucht. Habe nur etwas mit den Titel „Unter den Dolomiten“ gefunden. Das handelt allerdings nicht vom Bergsteigen, sondern von der Schnaps Herstellung aus der Wurzel des Gelben Enzian, im Kloster Franzens Feste. Bin immer einen Wiesenhang hinauf gelaufen, und habe dort im Sonnenschein gelesen. Solange wir in Odessa waren hatten wir dienstfrei. Odessa hat mir gefallen. Hätte es noch eine Weile dort ausgehalten.
Nach 2 Tagen musste ich das Buch wieder abgeben, denn der Transport ging weiter.
Es ging nach Nowo Ukrainska, einem Ort den ich auf keiner Karte finden kann, aber er liegt irgendwo zwischen Dnjepr und Südlichem Bug.
Wir hatten vor unserer Abreise aus Deutschland Winterbekleidung bekommen.
Die Schuhe trugen wir im Tornister, an den Füssen hatten wir Filzstiefel. Von der Bahnstation zum Dorf waren es 7 km durch tiefen Schlamm. Es war gerade Schneeschmelze. Das war eine Schinderei.
Im Dorf wurden wir auf die Häuser verteilt. Ich war zusammen mit 6 weiteren Kameraden bei einer Ukrainerin untergebracht, deren Mann bei der Roten Armee Dienst tun musste. Wir schliefen in einem kleinen Raum auf dem Fußboden aus gestampftem Lehm, über den wurde Stroh ausgebreitet und mit Zeltplanen überspannt. Unsere Wirtin schlief, wie alle Ukrainerinnen im Dorf, auf dem Backofen, der auch aus Lehm bestand. Abends kam meist der Hausfreund, der auch auf dem Backofen Platz nahm.
Unser Essen bekamen wir an der Feldküche. Der Koch stammte aus dem Erzgebirge. Er machte oft süße Nudeln mit Puddingsoße. Meinem Geschmack kam das sehr entgegen.
Die höheren Dienstgrade hatten Einzelquartiere, und wurden da allgemein von ihren Wirtinnen bekocht. Ob sie auch mit auf dem Backofen schlafen durften weiß ich nicht. Auf alle Fälle bestand überall ein gutes Verhältnis zu den Ukrainerinnen.
Nachdem sich unsere Wirtin einigermaßen mit uns vertraut gemacht hatte, sagte sie uns, wir sollten beim Nachbarn ein Huhn stehlen, da könnte sie uns eine schöne Hühnersuppe kochen.
Obwohl wir der Sprache nicht mächtig waren, haben wir doch verstanden. Ich erinnere mich noch, das Wort für stehlen war neben einigen Handbewegungen „zabzarap“ oder „zabzarap sabrali“. Die Sache war keinem von uns so recht geheuer. Schließlich hatte sie mich für die Aktion auserkoren. Mit vielen Handzeichen bekam ich eine ausführliche Anleitung. Sie zeigte mir die Tür des Hühnerstalls. Die Taschenlampe sollte ich erst im Stall einschalten, und weitestgehend mit der Hand abdecken. Dann sollte ich einem der auf der Stange schlafenden Hühner den Hals zudrücken, damit es nicht gackert und andere Hühner weckt. Danach sollte ich es unter meine Wattejacke klemmen, und mich lautlos davon machen. Das war ganz einfach, und hat auch funktioniert. Allerdings hat mir die Henne vor Angst in meine Wattejacke geschissen.
Ich habe die noch lebende Henne abgeliefert. Alles Weitere erledigte unsere Hausherrin. Wir bekamen am nächsten Abend unsere Hühnersuppe mit Kartoffelstückchen. Von Fleisch war da bei 7 Portionen nicht viel zu sehen. Die Keulen wird wohl unsere Wirtin mit ihrem Freund verspeist haben. Ich weiß auch nicht weshalb ich das Huhn stehlen musste. Etwas Besonderes war die dünne Hühnersuppe nicht. Ich fand die süßen Nudeln an der Feldküche besser, und habe mich zu keiner 2ten Hühnerstalltour verleiten lassen.
Das Wasser am Dorfbrunnen war scheinbar nicht einwandfrei, zumindest nicht für ungekochtes Trinken. Nach kurzer Zeit hatten wir alle nicht nur Durchfall, sondern die Ruhr. Habe bei dieser Gelegenheit gelernt wie man so etwas ohne Medikamente heilt.
Die ersten Tage bekam man Rizinusöl, so lange bis der Darm absolut leer war, und noch 2 Tage länger. Zu essen und zu trinken gab es während dieser Zeit nichts. Die Bakterien sollten erst mal raus. Danach noch 3 Tage nur Kamillentee, und erst dann wurde mit etwas Zwieback zum Tee begonnen. Da war man aber schon so weit runter, dass man kaum noch kriechen konnte.
Habe diese Methode später in der Kriegsgefangenschaft auch erfolgreich angewendet, allerdings ohne Rizinusöl, weil ich das nicht hatte. Statt Kamillen habe ich Tabak ausgekocht, und statt Zwieback Brot geröstet. Das funktionierte auch.
Nach etwa 3 Wochen ging es wieder zur Bahn. Glücklicherweise war der Weg dann etwas trockener. Der Zug brachte uns nach Bolschaja Wiska, einem Dorf das es unter diesem Namen vielleicht nicht mehr gibt. Der Transport erfolgte wie alle Truppentransporte wieder im Viehwagen mit Schiebetür. Da diese Wägen keine Treppe haben, sind wir herausgesprungen. Einer der Kameraden war etwas kurz gesprungen, und das Bajonett, bei uns Seitengewehr genannt, das er am Koppel trug, rutschte in den Spalt hinter der Laufschiene für die Tür. Es brach ab. Das sah einer der Vorgesetzten. Er schrie den Mann an und sagte. „Stellen sie sich einmal vor welche Schmerzen ein Gegner erleidet wenn sie ihm dieses Stumpfe Ding zwischen die Rippen jagen“. Ich habe nie erlebt dass einmal Seitengewehre aufgepflanzt worden wären. In der Zeit von Maschinenpistolen war das sicher ein überflüssiges Möbel. Aber viel witziger fand ich, dass man jemanden so ein Ding zwischen die Rippen rammt, und Mitleid haben soll wenn es weh tut. Aber eventuell schafft man es gar nicht, die stumpfe Spitze durch das dichte Gewebe eines Waffenrockes zu spießen. Bei so manchem was da kommandiert wurde hatte ich meine eigenen Gedanken, und habe mich gefragt ob solche Leute noch alle Tassen im Schrank haben.
Wir hatten alle Ausrüstung dabei, Gewehr, Tornister mit Decke, Zeltplane, Kochgeschirr etc. So mussten wir einen flachen Hang hinauf und kurz vor dem oberen Ende nach rechts. Es wurde geschossen, aber wir wussten nicht woher. So erreichten wir eine kleine Ortschaft Blentaschnik. Dort wurden wir abgeliefert bzw. übergeben. Unsere Begleiter bzw. Ausbilder reisten von da nach Deutschland zurück.
Die Einheit an die man uns übergeben hatte, war dort dabei alles auf einen Zug zu verladen. Es sollte nach Frankreich zur Neuaufstellung gehen. Also kurz gefasst unsere Gesamtstrecke war etwa, Westfalen – Lemberg – Odessa – Blentaschnik (Südmittelukraine) Frankreich. Planung? Fehlanzeige.
Dann reichte die Zeit nicht zur Verladung. Die Front kam zu schnell zurück. Also Fahrzeuge wieder herunter von den Tafelwagen, und selber fahren. Ich hatte mein Gewehr und Tornister auf einem LKW abgestellt. Nur Kochgeschirr und Löffel hatte ich bei mir, als der Befehl kam. Mich hat man, zusammen mit einem Kameraden abkommandiert, beim Anschieben und weiter schieben eines Offiziers (PKW Marke Adler) zu helfen. Das Ding war so tief liegend, dass der Boden, nachdem die Räder tief im Schlamm versunken waren, auf dem Schlamm der Rollbahn schleifte. Das Schieben wurde eine Art Dauerjob.
Wir haben also geschoben, und wenn der Grund wieder härter wurde auf den Hintersitzen Platz genommen, bis wir wieder schieben mussten. Die Richtung war kein Problem. Alle Fahrzeuge auf der Rollbahn fuhren in die gleiche Richtung, d.h. westwärts. Viele Fahrzeuge neben- und hintereinander. Der Fahrer hatte keine Straßenkarte oder ähnliches. Es gab auch keine Orts- oder Straßenschilder. Aber es gab gelegentlich so genannte Taktische – Zeichen. Das waren Symbole der einzelnen Einheiten. Unser Fahrer kannte sich damit aus. Auch nachts sassen wir auf der Hinterbank. Oft war es recht kalt, denn unsere Decken waren auf die Tornister geschnallt, die da irgendwo auf einem LKW lagen.
Es ging sehr langsam voran. Meist standen wir im Stau. Unser Fahrer, bereits ein Alter Hase, besorgte zwischendurch, wenn wir länger standen, von irgendwoher Verpflegung für uns drei. Dann musste ich mich vorsichtshalber ans Steuer setzen, falls es weiter ging. Einfach Zündschlüssel umdrehen, kuppeln und langsam in der Kolonne mitrollen. Ich glaubte schon ich könnte Auto fahren.
Dann kam ein Flaschenhals. Es ging gerade hinab zu einem Fluss, über eine Brücke, und am Gegenhang wieder hinauf. Dort wurden viele Anschieber gebraucht. Vor der Brücke stauten sich immer mehr Fahrzeuge neben einander. Es dauerte mehrere Tage und Nächte bis wir endlich den Gegenhang hinter uns hatten. Während der vielen Anfahrversuche hatte die Kupplung unseres PKW stark gelitten. Sie rutschte immer öfter durch. Unser Fahrer versuchte sich im Nachstellen. Aber irgendwann war Ende. Wir standen zufällig gegenüber von einem kleinen Stellwerk der parallel verlaufenden Eisenbahnlinie. Züge fuhren da schon lange nicht mehr. Es war Spätnachmittag, und wir richteten uns hier für die Nacht ein.
Unser Fahrer setzte noch die Sprengladung vorschriftsgemäß auf den Fahrersitz. Dann kam auch er. Alles war für die Sprengkommandos, die als letzte kamen hergerichtet, auch die Telegrafenmasten etc. Sehr spät kam dann noch ein einzelner Landser mit einem Wäschebeutel voll Schuhcremschachteln in unser Quartier. Ich fragte ihn: “Was willst Du denn mit der vielen Schuhcreme“? Er schenkte mir eine Dose. Es war Schokolade. Schokolade in runden Blechdosen hatte ich bis dahin noch nicht gesehen. Er war scheinbar etwas besser informiert als wir. Er meinte, wir hätten nur noch einige km bis Peromaisk – Golda, wo eine Brücke über den Südlichen Bug führt.
Auf der Brücke angekommen herrschte dort das perfekte Chaos. Fahrzeuge aller Art, auch Pferdegespanne, Fußgänger und Reiter, alles quirlte durcheinander. Am rechten Brücken Ende etwas tiefer befand sich ein Verpflegungslager. Viele drängten da hinein. Ich auch. Meine Kameraden habe ich dabei verloren. Kartons mit vielen Dingen waren da gestapelt, und jeder wollte etwas fuer sich erhaschen. Süßwaren standen in Wellpappkartons ganz oben auf.
Dort wollte ich hin. Aber ich konnte nicht heran. Alles drängelte unten vor den Stapeln. Schließlich konnte ich an einer seitlichen Säule emporsteigen, und an einem Dachbinder zu Mitte hangeln. Dabei streifte ich einige der unten Stehenden mit meinen schlammigen Filzstiefeln im Gesicht. Die zogen mich herunter. Ich hielt mich an einem bereits aufgerissenen Pappkarton fest. Der riss nun total auf, und ich stürzte zwischen einer ordentlichen Ladung von Bonbons zu Boden. Habe mir die Taschen und mein Kochgeschirr voll gestopft und mich entfernt.
Ich sah eine Baracke. Dort habe ich mich für die Nacht eingerichtet. Es waren einige weitere Soldaten dort. Alle unbewaffnet wie ich. Scheinbar lagen alle Gewehre auf irgendwelchen LKW’s. Am Morgen kam dann ein Offizier. Der hatte eine Pistole. Er erteilte uns den Marschbefehl nach Birsula. Keiner wusste wo das ist. Eine Karte hatten wir auch nicht. Alleine durchschlagen hat er noch gesagt. Mir übergab er seine Wattehose und sagte, ich solle sie ihm in Birsula zurückgeben. Scheinbar war ihm das Ding zu schwer, jetzt wo es wärmer wurde. Irgendwer sagte mir, das wäre der K1 (Kraftfahrzeugoffizier) vom Regiment.
Ich schaute mich um vor der Baracke. Da stand ein Lazarettzug unter Dampf. Vorn ein Tafelwagen mit Feldküche. Hinten ein Güterwagen bis unter das Dach voll Stahlflaschen. Sauerstoff oder Acetylen? Aber da war oben noch ein schmaler Spalt für mich. Ich kroch hinein. Drei lagen schon drin. Mit der Wattehose als Unterlage hatte ich es etwas komfortabler. Dann ging die Reise los. Schlecht gefahren ist besser als gut gelaufen. Erwischen lassen durften wir uns wohl nicht, und im Verpflegungsplan waren wir auch nicht drin.
Oftmals hielt der Zug an. So auch vor einer Zuckerraffinerie. Wir haben dort Zuckersäcke aufgeschlitzt, damit wir sie besser tragen konnten. Wir haben sie statt Strohsäcken auf die Stahlflaschen gelegt. Später hielten wir neben einem plombierten Verpflegungszug, der von Militärpolizei, so genannten Kettenhunden, bewacht war. Die wollten uns nicht ran lassen. Ein sehr langer von uns, er trug ein gelbes Halstuch, hatte eine Pistole. Er hielt diese einem der beiden Kettenhunde vor den Bauch, und sagte: “Hau ab“! Der Kettenhund verschwand. Wir öffneten die Plombe. Der Inhalt war, in weiße Folie gehülltes Dauerbrot, auch Afrikabrot genannt, und Pfefferminzlikör. Wir nahmen etwas zu uns, und schon ging es weiter. Die Kameraden aßen nun Dauerbrot mit Zucker. Mir war dieses Brot zu trocken. Ich rührte im Kochgeschirrdeckel Pfefferminzlikör mit Zucker zu einem Brei. Davon wurde ich müde und lustig. Habe gut geschlafen.
Dann hielt der Zug wieder. Die Verletzten und Fleckfieberkranken wurden auf Straßenfahrzeuge umgeladen. Wir erfuhren, dass der weitere Verlauf der Gleise bereits in russischer Hand war. Wir mussten also raus. Ein Unteroffizier entdeckte uns. Wir sollten MG Munition zur nahe gelegenen Front tragen. Jeder von uns bekam einen Gurt um Genick und Schultern, mit Munitionskästen an den Enden. Nun mussten wir hinterher latschen, durch ein Wäldchen zu ein paar kleine Häuschen. Dort stand ein Hauptmann. Der hatte eine Karte auf einem auf den Kopf gestellten Panje Wagen ausgebreitet. Er nannte das seinen Gefechtsstand. Es war das erste Mal, dass ich einen Offizier mit einer Landkarte sah.
Er sagte, Cherokowa (so hieß die Bahnstation) sei eingeschlossen, und wir auch. Er erteilte uns gleich Aufgaben. Ich sollte die Verpflegung sicherstellen. Zwischen einigen Hütten traf ich auf Hühner. Die Brachte jemand der Bewohner, auf meine Anweisung, zum Gefechtsstand. Sie haben sich nicht daran gestört, dass ihnen die Hühner genommen wurden. Die Hütten gehörten wahrscheinlich zu einer Kolchose, und die Hühner waren damit sowieso nicht ihr Eigentum. Das habe ich an vielen Orten so erlebt. Die machten da so einfach, wenn sie verstanden hatten, was ich mit Worten und Handbewegungen meinte. Ich hatte keine Waffe. Später fand ich eine Sau. Mit der war es schwieriger. Ein Mann erkannte meine Probleme. Er reichte mir einen Spaten. Über das Gatter hinweg versuchte ich die Sau zu erschlagen. Aber das Biest grunzte bösartig. Ich muss gestehen, ich hatte Angst. Schließlich legte sich die Sau nach einigen derben Schlägen auf die Seite. Wie weiter? Ich stand ratlos vor der Sau. Zum tragen war die viel zu schwer. Der Mann brachte eine alte, zerschlissene, blaue Wattejacke. Er half mir auch meine Beute transportfertig zu machen. Wir knoteten die Ärmel um das Tier. So konnte ich es auf dem Erdboden hinter mir her schleifen. Es waren nur einige hundert Meter zum Gefechtsstand. Plötzlich tauchten rechts im Wald 2 Kosaken auf, und fingen sofort an mit Maschinenpistolen zu schießen. Da auch auf deutscher Seite Kosaken mit den gleichen Kappen kämpften, dachte ich das sei ein Versehen. War es aber nicht. Ich ließ die Sau liegen, schrie um Hilfe und rannte Richtung Gefechtsstand. Mir kamen einige Kameraden entgegen gerannt. Die Schiesserei hörte auf, und ich erzählte dass ich mit der Sau Richtung Gefechtsstand unterwegs war, als die Kosaken kamen. Die Kosaken waren weg, und wir wollten die Sau holen. Die war aber auch weg. Ich dachte die Kosaken haben mich laufen gelassen, um die Sau mit zu nehmen. Am Gefechtsstand erzählte ich die Sache von der Sau. Die Kameraden dort sagten, dass die Sau bereits geschlachtet ist. Die war wieder zum Bewusstsein gekommen, und samt Jacke genau da hin gelaufen wo ich sie hatte hin schaffen wollen. Meine Aufgabe war erfüllt.
Am Abend bekam der Lange mit dem gelben Halstuch den Befehl, einen gefangenen russischen Unterleutnant in der Nacht durch den Wald zur anderen Seite des Kessels, in die Gegend von Cherokowa zu bringen. Nach kurzer Zeit meldete er sich beim Hauptmann zurück: “Befehl ausgeführt, Unterleutnant auf der Flucht erschossen“. Das war während meiner Frontzeit das einzige unrechtmäßige Erlebnis. Das ist aber dem befehlenden Hauptmann anzulasten. Das war Selbsterhaltungstrieb. Allein mit einem Gefangenen durch einen Wald, wo man nicht unterscheiden kann was Freund oder Feind ist, das ist irre.
Am nächsten Morgen wurde und gesagt, der Kessel sei wieder offen, und wir könnten unseren Marsch nach Birsula fortsetzen. Da wo wir uns befanden waren 3 Pferde vorhanden. Die Kameraden wollten reiten. Ich war noch nie geritten, und verzichtete. Einer wurde beim Aufsteigen vom Pferd getreten, und wollte nun auch laufen. Wir führten das Pferd mit uns.
Bei einem Haus war ein Stück Zaun. Da probierte ich es doch einmal das Pferd zu besteigen. Ich habe es geschafft. Nun saß ich oben und mein Kamerad führte das Pferd bis Cherokowa. Dort war der Bahnhof gesprengt worden, und viele Dinge lagen herum. Zunächst nahm ich eine Schnur und band das Pferd an. Einfach so um den Hals. Dann füllte ich einen Kopfkissenbezug vom Lazartettzug mit Backobst, und legte ihn hinter dem Hals auf den Rücken des Pferdes. Eine weiße Lazarettdecke versuchte ich als Sattelersatz auf das Pferd zu binden. Aber bei allen Aufstiegsversuchen rutschte die seitlich weg, und hing dann unter dem Bauch. So bin ich ohne diese Decke weiter geritten.
Mein Kamerad hatte einige Grießsuppen aufgelesen, und dann auf einem LKW eine Mitfahrgelegenheit nach Annaniev gefunden. Ich ritt noch einige Zeit längs der Strasse in die Nacht. Bei einem Haus vor dem ein Baum stand hielt ich an, band mein Pferd am Baum fest, und ging hinein. Das Haus stand leer. Unten war ein großer Raum. Da lagen Strohsäcke, und es stand da auch ein Schreibtisch. Ich hatte den Eindruck da wäre ein Luftwaffenstab gewesen. Auf dem Schreibtisch stand eine Schnapsflasche, daneben ein angerissenes Päckchen Hartkekse. Ich riss etwas Stroh aus einem der Säcke, und warf es dem Pferd hin. Ich weiß aber nicht ob Pferde Stroh fressen. Dann aß ich die Hartkekse und untersuchte die Schnapsflasche. Der Inhalt war leider Tinte. Anschließend habe ich einigermaßen gut geschlafen.
Als ich nach Annaniev einritt, stand mein Kamerad an der Strasse. Er hatte bei einem Verwaltungsbeamten der Organisation Tod übernachtet. Dieser schien etwas weltfremd zu sein. Er packte gerade zusammen was er so mitnehmen wollte. Wir beide sind über die Brücke und ins erste Haus. Wollten uns Griessuppe mit Backobst kochen lassen. Ein Feldwebel mit einem kleinen Panje Wagen war auch gerade eingetroffen. Er hatte den Schweinskopf von meiner Sau dabei. Es lief alles gut. Plötzlich kam ein Soldat herein und rief: “Ihr müsst sofort weiter, die Brücke wird gesprengt“!
Also weiter. Wir fischten einige Stück Backobst aus der Suppe, und ich musste feststellen dass mein Pferd weg war. Auf der Strasse fuhr nichts mehr. Aber die Strasse auf der anderen Seite des Dorfes war rappelvoll mit LKW’s. Wir querten den steilen Hang diagonal. Die Sonne schien. Die Frauen saßen vor ihren Häuser als wäre Urlaubszeit. Oben auf der anderen Seite des Flusses, weit in der Ferne, waren die ersten Rotarmisten zu sehen, oder mehr zu erahnen. Sie kamen mit Pferdegespannen. Dann ging die zweite Brücke hoch. Im letzten Haus am oberen Ende unseres Hanges machte eine Ukrainerin Bratkartoffeln fuer deutsche Soldaten. Statt Fett das sie nicht hatte, verwendete sie Kornkaffee. Wir bekamen auch etwas ab.
Wir wollten wissen wie weit es bis Birsula ist. Da erfuhren wir, dass wir uns an der Strasse nach Odessa befanden. Die andere Strasse, von der wir kamen, war die nach Birsula.
Einer hatte ein Fernglas. Wir konnten sehen dass die Russen 12cm Granatwerfer auf ihren Pferdefuhrwerken hatten. Aber sie ließen diese wo sie waren. Niemand hat geschossen. Das war nicht wie Krieg. Wir mussten weiter. Das Gelände bestand aus Bodenwellen. Wir querten wieder schräg, diesmal nach rechts abwärts, und anschließend schräg rechts aufwärts. Auf der nächsten Bodenwelle kamen wir bei einem Brunnen heraus. Das zugehörige Dorf begann etwa 300m links davon. Eine alte Frau holte sich gerade einen Eimer Wasser.
Es begann zu dunkeln. Wir wollten für die Nacht ins Dorf. Die alte Frau hielt uns ab, und sagte: “Nix Kamerad“. Scheinbar waren die Rotarmisten bereits im Dorf. Ich fragte nach Birsula. Sie antwortete: “Nix Kamerad“. Also dort hin auch nicht. Sie zeigte etwa 90° zum Hang und sagte: “ Da Kamerad“. Also wir mussten den nächsten Hang gerade hinab. Birsula konnten wir vergessen. Das war schon in russischer Hand.
Wir stolperten weglos durch die Nacht. Da hörte ich eine Kuh. Ich war sehr müde und sagte: “Da muss ein Dorf sein, dort gehe ich schlafen“. Mein Kamerad meinte, wir müssen das erst untersuchen. Wir hatten Glück. Gleich am Fenster des ersten Hauses lagen 3 deutsche Käppis. Wir klopften. Da waren unsere 2 Kameraden und noch einer dazu. Die Frau machte uns noch Maisbrei, Guggerutz genannt, und Tee. Dann gingen wir schlafen. Am Morgen gab es noch einmal Guggerutz, Eier und Kornkaffee. Danach begann die nächste Etappe.
Wir erreichten bald eine Rollbahn, mit viel deutschen Militärfahrzeugen nach links. Alle waren dick voll, ohne Mitfahrgelegenheit. Außerdem war die Strasse fest und die Fahrzeuge waren zu schnell zum Aufspringen. Ich war schlapp mit den schweren Filzstiefeln. Die Anderen liefen mir zu schnell. Ich brauchte eine Pause. Legte mich an den Straßenrand und zog die Kapuze meiner Wattejacke über den Kopf. Hoffte auf ein langsames Fahrzeug. Aber alle hatten es eilig.
Schließlich ging ich weiter bis ins nächste Dorf. Dort machte sich eine bespannte Artillerieeinheit gerade abmarschfertig. Ich sah ein rotbraunes Pferd, richtig mit Sattel, Steigbügel und Zügel. Das wollte ich mir nehmen. Man hat mich erwischt.
Ich hörte eine Stimme: “Da will jemand den Fuchs Stehlen“. Ich nahm reiß aus bevor ich Prügel bezogen hätte. Das war also nichts.
Ich lief am Dorfrand entlang. Hinter einer unverschlossenen Tür fand ich einen total abgemagerten Klepper ohne alles. Nur ein rotes Fernsprechkabel war sozusagen statt Zügel angebracht.
Besser als laufen dachte ich, und stieg auf. Ich kam an einem Hinterhof vorbei, wo Soldaten Hühner schlachteten. Sie hatten einer großen Pott, und heizten mit einer Lötlampe. Alle Kraftfahrer hatten Lotlampen dabei, um bei großer Kälte morgens ihre Fahrzeuge gangbar zu machen. Lötlampen wurden für vieles verwendet. Man musste nur aufpassen, dass man keine Löcher brennt. Ich bekam auch etwas von der Hühnersuppe. Dann ritt ich weiter. Ich befand mich jetzt nicht mehr auf der Hauptstrasse. Das war so besser mit Pferd.
Ich begegnete einem Gespann an dem Winterdienst geschrieben stand. Es war wohl mal ein Streufahrzeug gewesen. Ein Kasten mit Deckel auf zwei Rädern, eine Deichsel und vorn ein Pferd mit Reiter auf Sattel. Daneben noch ein Reiter mit Sattel. Auf der Kiste saß ein Hiwi. (Hilfswilliger von der Gegenseite.) Ich wurde aufgefordert im nächsten Dorf mein Pferd gegen Eier zu tauschen, damit wir uns am Abend Pfannkuchen machen könnten. Ich konnte dann auf der Kiste mitfahren. War auch besser als auf dem mageren spitzen Rücken meines Pferdes.
Am Spätnachmittag haben wir dann die Pfannkuchen Fabriziert. In dem Kasten, der wohl ursprünglich für Streusand gedacht war, befanden sich auch noch andere Dinge. Ein Bienenstock war da zufällig auch gleich nebenan. Ich sollte da Honig herausholen. Habe mir die Kapuze meiner Wattejacke über den Kopf gezogen, und los ging’s. Die Bienen haben allerdings in die Kapuze gefunden, aber scheinbar schlecht wieder heraus. Haben mein Genick ordentlich zerstochen.
Dann erfuhren wir, dass es im Dorf eine so genannte Frontleitstelle gibt. Da konnte man allgemein Verpflegung fassen. Einer ging und fasste für 4 Personen. Er kam zurück mit 4 Frontkämpferpäckchen. Da war auch Schokolade drin. Er sagte die kontrollieren da nicht weiter. Er musste nur seine Feldpostnummer sagen, und da bekam ich die 4 Päckchen. Der nächste ging und fasste fuer 8 Personen. Wir konnten das ja alles für schlechtere Zeiten in unseren Kasten einlagern. Danach ging ich. Leider wurde meine Feldpostnummer gesucht. Da wurde gerade eine Einheit zusammengestellt. Ich bekam gesagt an welchem Haus ich mich am nächsten Morgen und um welche Zeit melden musste.
Die Einheit war beritten. Ich bekam auch ein Pferd. Es war das mit dem roten Fernsprechkabel. Den ganzen Tag sind wir geritten. Abends haben wir uns in leer stehenden Häusern einquartiert. Einer stellte fest, dass da im Keller Weinfässer stehen. Bis dahin bin ich nur unbewaffneten Soldaten begegnet die auch keine Helme hatten. Bei dieser Kolonne hatten die beiden, die das Kommando hatten, Pistolen. Sie schossen Löcher in die Fässer, und wir hielten die Kochgeschirre darunter. Wir haben ordentlich gebechert, und sind dann in tiefen Schlaf versunken. Wir wurden laut geweckt. Sprengkommando. Ihr müsst hier raus, und schnell weiter.
Es war wieder kälter geworden und schneite. Ein regelrechtes Schneetreiben entstand. Ich war sehr müde, und mein Pferd auch. Ich ritt ganz hinten und schlief fast ein. Der Abstand zu den Letzten wurde immer größer, bis ich sie nicht mehr sah. Seitlich stand später eine sehr kleine Hütte, in der eine Ölfunzel brannte. Es war praktisch nur ein ganz kleiner Raum mit einem winzigen Fenster. Darin war ein kleiner offener Kamin der ordentlich Qualmte. Davor ein älterer Landser, bis an die Halskrause voll mit Wodka, und eine angebrauchte Flasche daneben. Dazu ein Haufen Holz, von dem er gelegentlich nachlegte. Ich setzte mich daneben, fiel zur Seite und schlief bald ein. Es war schön warm.
Am Morgen ritt ich weiter. Der Andere blieb. Ich denke er hatte keine Lust mehr, und wollte warten bis die Russen ihn gefangen nehmen. Ich weiß nicht mehr wie lange ich noch alleine geritten bin. Es gab keine besonderen Vorkommnisse, deshalb weiß ich es nicht. Dann kamen viele Fahrzeuge Reiter und Fußvolk sternförmig zusammen, und es kam auch wieder eine Frontleitstelle. Dort bekam ich keine Schokolade. Es gab nur recht trockenen Schmelzkäse, in Alu Tuben die man aufschneiden musste.
Ich fragte wo ich bin. In Dubosari war die Antwort. Hier kommt gleich die Brücke über den Dnjestr, und dann beginnt Rumänien. Etwa 50 km sind es bis Kishinev.
Nach der Brücke folgten seitlich der Strasse Bauerhäuser mit Strohdächern. Ich hoffte auf etwas zu essen, und ritt zu so einem Haus. Die Tür stand weit offen. Mein Pferd stürmte da hinein. Vielleicht hatte es Hunger oder Durst. Da es keinen Sattel gab, und auch sonst keinen Haltepunkt, wurde ich regelrecht nach hinten abgestreift. Ich konnte mich nur noch am Strohdach festhalten, damit ich wenigstens senkrecht und nicht rücklings auf der Wiese landete. Ich bin nicht ins Haus. Hatte keine Lust mehr zum reiten. War total wund. Ohne Sattel ist nicht das Hauptproblem. Schlimmer ist ohne Steigbügel. Bei mir fehlte beides.
Bin Richtung Strasse. Hoffte auf Mitfahren. Da traf ich den Katter. Einen Österreicher der mit mir in der Ausbildung gewesen war. Er hatte ein Pferd. Ein besseres Pferd als ich. Im Kochgeschirr hatte er Fleischstücke. Wir beschlossen Feierabend zu machen. Wir steuerten ein Haus an. Dort waren schon 2 Landser. Wir wollten es uns gerade etwas gemütlich machen. Da kam die Frau und holte uns in einen anderen Raum. Es war kein Mann im Haus, nur 2 Frauen. Es lag da ein Schwein auf der Seite. Wir sollten es notschlachten. Aber keiner hatte ein langes Messer. Wir deuteten das den Frauen an. Scheinbar hatten die auch nichts passendes. Dann brachten eine von ihnen eine Axt an. Einer von uns hackte damit dem Schwein die Kehle durch. Ich habe mich dann müde in eine Ecke gelegt, während die Anderen die halbe Nacht mit aufschneiden und anbraten beschäftigt waren. Ich esse kein Schwein. Mir ist das alles zu Fett und das Brutzeln mag ich auch nicht riechen. Der Katter hat am nächsten Tag sein Pferd zurück gelassen, und wir fanden einen LKW der uns auf der nun guten Strasse mit nach Kishinev nahm.
In Kishinev waren viele Pfeile mit Beschriftungen wo sich die Einheiten sammeln sollten. Der LKW mit meinem Gewehr war auch da. Die Nummer stand im Soldbuch. Ich habe es aber auf dem LKW gelassen.
Dann sollten Kampfgruppen zwecks Bildung eines Brückenkopfes zusammen gestellt werden. Ich sollte zur Kampfgruppe Jaspers. Jetzt waren plötzlich auch wieder Vorgesetzte da, und die schöne Freiheit war vorbei.
Ich musste aber zunächst einmal zum Sani, war total wund und hatte einen großen Furunkel am Damm. Nun musste ich mich auch wieder ab- und zurück melden.
Entschuldigung- die nächsten Zeilen gebe ich so wieder wie sie gesprochen wurden.
Der Sani kommandierte: “Umdrehen, Hose runter, bücken, Arschbacken auseinander ziehen“!
Dann nahm er eine Schere und rammte den Spitzen Schenkel tief in den Furunkel, schnitt ein Stück auf, drehte die Schere in die entgegengesetzte Richtung, und schnitt da auch ein Stück auf. Anschließend kratzte er den Eiter mit einer kleinen Holzspatel aus der Wunde. Danach wurde nach allen Seiten kräftig mit Jod gepinselt.
Dann kam der Befehl: “Hose hoch, fertig“!
Ich konnte gehen. Für ein Pflaster war die Stelle wohl ungeeignet.
Hose und Turnhose waren total verdreckt und verlaust, aber die Wunde heilte ohne Probleme ab. Zunächst hatte ich aber noch kräftige Schmerzen.
Ich musste mich zurück melden. Strammstehen war nie meine starke Seite. Aber vielleicht waren die Schmerzen auch ein Hindernis.
Der Vorgesetzte brüllte: “Wie stehen sie da“!
Er drückte mir ein Gewehr in die Hand, das da zufällig an der Wand lehnte und brüllte: “Pumpen“!
Beim Pumpen musste man das Gewehr, das immerhin 7 kp hatte, quer an den ausgestreckten Armen vor den Oberkörper halten und sein Sprüchlein aufsagen. Bei jeder Zeile war eine Kniebeuge fällig. Das ging dann so:
„Ich bin Soldat,
ich bin es gerne,
vor lauter Pumpen,
sehe ich nur noch Sterne,
mein Arsch,
der wird bald rosig sein,
es ist so schön,
Soldat zu sein“.
Darauf folgte je nach belieben mehrmals das Kommando wiederholen.
Damit war mein Ukraineabenteuer zu Ende. Unsere Kampfgruppe kam nicht zum Einsatz. Für uns ging es in Rumänien weiter
Harry Rost, geschrieben vor der Europawahl 2014