Ausschluss – HJ

Mein Ausschluss aus der HJ

Mit Schimpf und Schande ist in einem Buch oder Bericht von Dieter Hasse zu lesen. Das ist ein Märchen. Für mich war die Sache eher lustig. Für manche Erwachsene in der damaligen Zeit eher anrüchig. Und so war’s.

1ter Ausschluss:

Als Schulbub hat mir Zeltlager etc. viel Spaß gemacht. Um den Rest habe ich mich wenig gekümmert. Als ich das Klettern begann, was mir noch mehr Spaß machte, fehlte mir die Zeit und auch das Interesse zum HJ Dienst zu gehen. Irgendwann erhielt ich eine Mahnung mal wieder zu erscheinen, die ich nicht beachtete. Ca. 6 Wochen später erhielt ich eine Mitteilung, dass ich, weil ich die Mahnung nicht beachtet hatte, mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen sei. Das war alles. Es war unkompliziert und korrekt.

Bezeichnend ist, dass ich Gerhard Wiessner, den Gefolgschaftsführer der den Ausschluss unterschrieben hatte, bereits 1949 als Spitzenfunktionär der neuen Machthaber sah. Er hielt damals gerade eine Rede an den Technischen Lehranstalten Dresden.

2ter Ausschluss:

Ich hatte inzwischen Kameraden der SBB Jugend kennen gelernt. Die hatten immer am Montag ihren Jugendabend in einem Hinterzimmer des Braunschweiger Hofes in Dresden. Eigentlich war da nichts weiter los. Man traf sich, trank sein Bier, quasselte über die Erlebnisse vom Wochenende, und fuhr gegen 22 Uhr mit abgedunkeltem Fahrrad heimwärts. Ich über Kopfsteinpflaster bis Mickten. Ähnlich ging es auch in den div. kleinen Klubs zu, von denen ich im Lauf der Woche gelegentlich mehrere besuchte. Es war wunderschön, ohne wichtigtuerische Funktionäre und überhaupt ohne alles. Jahresbeitrag 1.- RM.

Eines Tages erschien ein Hansjochen Schneider und warb für eine Bergsteigergefolgschaft 100, die demnächst installiert werden sollte. Einige, die auch sonst immer das größte Mundwerk hatten, motzten laut.

Einige Zeit später erhielt ich, wie auch alle anderen Mitglieder, eine Aufforderung mich zu einem bestimmten Termin in der Volksschule in der Schanzenstrasse zu melden. Die weitere Mitgliedschaft in der SBB Jugend wurde von meinem Erscheinen abhängig gemacht. Der Urheber des Briefes war nicht ganz klar ersichtlich, aber wir folgten alle der Aufforderung.

In der Schule angekommen befanden wir uns in der Registrierung für die Aufnahme in die Bergsteigergefolgschaft 100. Vorn war eine Theke für den Formularkrieg. Im Hintergrund sahen wir die ursprünglichen Motzer, bereits in Uniform und mit Führerschnuren verziert. Man hatte sie auf diese Art gekauft.

Wir haben uns alle registrieren lassen, denn wir wollten ja in der SBB Jugend bleiben. Ab diesem Zeitpunkt hießen alle weiteren Einladungen Befehl. Wir sind gefolgt, haben uns das angesehen, und man war aufrichtig um uns bemüht. Sonntags war Dienst, wie man das damals nannte, meist an der Fluchtwand, mittwochs war Heimabend in der Dietrich Eckart Schule in Dresden. Aber beides nur gelegentlich, sozusagen auf Abruf, oder besser auf Befehl.

Beim Dienst im Elbsandstein ging es Seilschafts weise zum Klettern. Das wurde, nach dem Antreten, Strammstehen, Befehlsausgabe und Einteilung von sog. HJ Bergfahrtenführern geleitet. Einer davon war Willy Haentzschel. Aufgabe des jeweiligen Bergfahrtenführers war es auch, dafür zu sorgen, dass als Überschrift des Gipfelbucheintrages Bergsteigergefolgschaft 100, und nicht SBB Jugend verwendet wurde. Außerdem musste er die Tour im sog. HJ Bergfahrtenbuch bestätigen.

Ich war um diese Zeit schon in allen Schwierigkeitsgraden zuhause, und war es nicht gewohnt mir die Gefährten zuteilen zu lassen. So brachte ich mir nach kurzer Zeit meinen eigenen Bergfahrtenführer mit. Es war Fritz Markert, der eher leicht rot angehaucht war als braun. Er war damals 23 Jahre (für mich fast uralt) und wegen seines Glasauges nicht bei der Armee. Wir sind da nur mal so vorbeigegangen, haben uns gemeldet, und sind wieder verschwunden. Das wurde geduldet. Der Führer bzw. Vorsteiger war allerdings nicht der Fritz, sondern ich.

Ich hatte mir einen Bezugsschein für eine schwarze Wellsamthose (wie wir Manchester damals nannten) und für ein schwarzes Halstuch geben lassen, welches ich allerdings als Kopftuch trug. Ein Braunhemd habe ich mir nicht gekauft. D.h. ich blieb sozusagen zivil.

Der Sonntagsdienst war damit erträglich, aber nicht der Mittwochsdienst. Wir hatten da keine Kneipe und auch kein Bier, sondern eine Schule mit Schulbänken und Pult. Am Pult stand ein HJ Funktionär, die damals Führer hießen, der uns etwas lernen wollte. Um die Aufmerksamkeit zu erzwingen, hielt der gelegentlich auch Prüfungen ab. Ich erinnere mich an die Frage, welche Arten von Steigeisen gibt es. Ich schrieb als Antwort: Große und Kleine.

Dann gab es mal eine Stromabschaltung, wie das in Kriegen so üblich ist. Wir wurden nach Hause geschickt. Das fand ich prima, aber zu selten. Ich wollte da nachhelfen. Ich verband dazu in einem Stecker die beiden Pole. Als wir das Klassenzimmer betraten, steckte ich diesen in die Steckdose neben dem Schalter. Da war es finster, aber leider nur in einem Zimmer. Wir wurden umgesiedelt. Beim Betreten des nächsten Zimmers gleiche Aktion. Nächste Umsiedlung mit gleichem Ergebnis. Danach hat man mich erwischt.

Es passierte zunächst nichts. Beim nächsten Mittwochsdienst mussten wir wie üblich zu Beginn auf dem Schulhof antreten. Der Gefolgschaftsführer Hansjochen Schneider kommandierte: “ Stillgestanden, Hitlerjunge Rost vortreten “. Da standen nun alle stramm, wie Hampelmänner, ich vorn dran, auch stramm. HJS sagte laut und deutlich: “Der Hitlerjunge Rost ist mit sofortiger Wirkung aus der Bergsteigergefolgschaft 100 ausgeschlossen.“ Dann Stille. Scheinbar war allen die Luft ausgegangen, bis ich fragte: “ Da kann ich wohl nun nach Hause gehen? “

Nach dem Ja holte ich mein an die Mauer gelehntes Fahrrad, fuhr noch eine Runde um die noch immer strammstehende Einheit, winkte noch mal, und radelte durchs Schulhoftor hinaus. Von Ferne hörte ich noch: “Rührt euch“. Es war eigentlich eine ganz gemütliche Sache.

Normalerweise hatte ich damit auch die Mitgliedschaft in der SBB Jugend verloren. Ich ging aber trotzdem in den Braunschweiger Hof, wo im Nachbarraum, gleichzeitig mit der Jugend, der Gipfelbuchausschuss tagte. Auch Fritz Markert ging immer dort hin. Walter Barth war da der wichtigste Mann. Der wechselte entgeldlos alle verrosteten Ringe aus, und fertigte die neuen auch selber an. Ich sagte ihm nur:

“Ich komme jetzt zu Euch, weil ich nebenan nicht mehr darf“. Der Walter hat das dann beim Jugendleiter geklärt, und ich durfte wieder. Ich durfte sogar offizielles Mitglied bleiben, der Einzige ohne HJ Mitgliedschaft.

Eifrige Hitlerjungen wurden mit Führerposten oder mit einer für sie kostenlose Alpenfahrt belohnt. Fritz Leder bekam eine solche Alpenfahrt. Als ich aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde war er bereits SED Genosse und Wachtmeister bei der VoPo. In meiner Stasiakte fand ich ihn unter denen die mich verpfiffen haben. Er hat sich bis zum Polizeipräsidenten von Dresden gepfiffen.

Willy Haentzschel wurde später SED Genosse. Den HJ Schneider sah ich 1955 in München wieder. Da war er dann Funktionär im erweiterten Vorstand des DAV. Das war auf alle Fälle besser als Gerhard Wiessner bei der SED. Es gibt Menschen die brauchen wohl immer einen Posten der sie wichtig macht. Für mich ist das zu hoch. Ich verstehe das nicht.

Einzig im Beruf musste ich kleiner Chef werden. Das aber nur um das nötige Geld für meine Bergfahrten zu verdienen, um meine Freizeit außerhalb der üblichen Tarifregelungen selber einteilen zu können, und um meine eigenen Konstruktionsideen zu realisieren. Ansonsten hat mich das wenig interessiert.

Harry Rost, geschrieben 1989