Die Stasi und ich

Ich meine es wird Zeit, dass Stasi & Co und noch vieles andere jetzt aufgearbeitet werden, bevor es keine Zeitzeugen mehr gibt. Von der Gauck Behörde wurde ich nach Erhalt meiner Unterlagen darum gebeten, diese unter Verschluss zu halten. Das war ein verständlicher Wunsch von Herrn Kohl, der da wollte dass erst einmal Ruhe einzieht in das frisch vereinigte Deutschland. Ich habe mich bisher daran gehalten. Inzwischen wurde vielerorts mit der Aufarbeitung begonnen. Nachdem es sich zeigt, dass die Nutznießer des Regimes des Schämens unfähig sind, und jetzt aus ihren Schlupfwinkeln hervorkommend auch noch versuchen alles zu verharmlosen, will ich meine Aufarbeitung einigermaßen ausführlich tun. Wen es nicht interessiert der muss es ja nicht lesen. Der Einzige von dem ich bisher den Satz: “Ich schäme mich“ gehört habe, ist Günter Schabovski.

Dass ich, bei immer offener Kritik, alles so gut überstand liegt nur daran, dass die Gegenseite immer etwas dümmer war als ich.

In der Sendung “Nach der DDR“ kam jetzt der Bruder des ersten Maueropfers zu Wort. Er sagte: “Auf ein Unrechtsbewusstsein der Täter warten wir vergebens“.

Für mich sind alle Steigbuegelhalter des Unrechtsregimes Täter, ob Schütze, IM oder Mitläufer.

Hier fuege ich meine schon vor Jahren geschriebenen Aufsatz “Der Mitlaeufer“ und einige Gedankensplitter ein, was auch in meiner Webseite zu finden ist.

DER MITLÄUFER

Jeder Diktator braucht Mitläufer. Ohne Mitläufer hätte Hitler sein Leben lang Ziegel getragen oder Postkarten gemalt, Honnecker Dachpappe genagelt und Komeni Koranverse gesungen.

Als Mitläufer dienen vorwiegend Menschen deren Qualifikation und Schaffenskraft für eine ihren Wuenschen entsprechende Lebensgestaltung nicht ausreicht. Sie unterscheiden sich diesbezüglich nicht wesentlich vom Diktator. Der Unterschied ist lediglich eine gewisse Rattenfänger Mentalität, die fast allen Diktatoren anhaftet.

Der Diktator belohnt seine Mitläufer, die er unbedingt braucht, mit Privilegien die diese in ein unauflösbares Abhängigkeitsverhältnis bringen. Je schwächer der Charakter, desto leichter ist so etwas zu realisieren. Als gehorsamer Diener erfüllt der Mitläufer seine “Pflicht“.

Die Zielsetzung einer Diktatur ist Nebensache. Das eigentliche Ziel jeder Diktatur ist die Diktatur.

Hat ein Diktator abgewirtschaftet, d.h. das Zwangssystem bricht zusammen, so betont der Mitläufer lauthals, dass er doch nur ein kleiner Mitläufer war. Leider hatten die meisten Mitläufer bisher damit Erfolg. Der im Beruf angespannte Normalbürger nimmt sich zu wenig Zeit zum Nachdenken. Die eigentlich Schuldigen an der Entstehung von Diktaturen sind die Mitläufer. Ohne Mitläufer gibt es keine Diktaturen!

Vor einigen Tagen lief bei Phoenix eine Sendung in der Reihe HISTORY. Darin fiel der Satz: “Das grausame einer Diktatur sind ihre Mitläufer“. Dem kann ich nur voll zustimmen. (eingefügt 2014)

Nur auf sich gestellt müssten die sog. Starken Männer ihr Leben am unteren Ende der Gesellschaft fristen, als Ziegelträger, Dachpappnagler etc. Entsteht eine neue Diktatur, evtl. mit nominell total entgegen gesetzter Zielrichtung, so sind die Mitläufer auch wieder da. Sie sind anpassungsfähig und im Dienen geübt.

Das wahre Ziel ist immer wieder, für den Diktator die Diktatur und für den Mitläufer der persönliche Vorteil.

Harry Rost, geschrieben 1982


APHORISMEN

Jede Diktatur ist ein Verbrechen. Wo Menschen diktieren werden zwangsläufig andere Menschen ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt. Das gilt auch für die sog. Diktatur des Proletariats.

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Eine Welt von Individualisten ware sicher schwer regierbar. Aber sie wäre ungefährlicher als die Welt der Herdenmenschen. Mit einer Armee wo jeder in die eigene Richtung marschiert, kann man keinen Angriffskrieg fuehren, und wo nicht angegriffen wird gibt es nichts zu verteidigen.

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Ich habe 4 Blatt aus meiner Stasiakte ausgewählt. Ich denke diese reichen um die Richtigkeit meines Berichtes zu belegen. Ohne Kommentar sind diese Blätter wenig aussagefähig. Die restlichen Blätter spare ich mir. Da ist wie ich meine viel primitiver Quatsch dabei.

Dieses Blatt behandelt die Vorbereitung meiner Verhaftung, die gut ausgewaehlt 5 Tage vor dem ersten Geburtstag meines Sohnes erfolgte. Dieses Datum sollte mich wahrscheinlich besser gefügig machen. Auf Blatt 2 ist nur noch der Beschluss zu lesen, deshalb habe ich es weggelassen.

Ein paar Worte zu den Machern:

FRITZ LEDER hat Dreher gelernt im selben Betrieb und gleichen Lehrjahrgang wie ich. Am 08.02.1942 habe ich ihn nach Rathen mitgenommen. Wir kletterten den Ostweg am Mönch. Ich nahm ihn auch zur SBB Jugend mit, die später zwangsweise in die HJ Bergsteigergefolgschaft 100 eingegliedert wurde. Während ich nach einiger Zeit aufgrund meines Verhaltens ausgeschlossen wurde, durfte er mit einer Gruppe besonders verdienter Hitlerjungen kostenlos in die Alpen (Schobergruppe) fahren. Zum Militär wurde er ziemlich spät eingezogen, und als es da auch noch krachte bekam er die Hose voll. Er ging stiften und versteckte sich bis Kriegsende in den Bärfangwänden. Damit er nicht verhungert wurde er von Gerhard Aust (Spitzname Assessor) mit Lebensmitteln versorgt.

Als ich aus der Kriegsgefangenschaft kam war Fritz Leder bereits Wachtmeister der Volkspolizei. Der Assessor arbeitete wie schon vorher beim Gericht. Während eines Klubabends erzählte er den Kameraden, dass er erlebt hatte wie politische Gefangene auch im neuen System geschlagen wurden. Fritz Leder zeigte den Assesor, zwecks Förderung seiner Karriere, wegen Geheimnisverrat an. Assessor bekam 25 Jahre Bautzen. Nach dem 17. Juni 1953 gab es eine Amnestie, und er wurde schwerkrank in die Bundesrepublik entlassen. Er lebt schon lange nicht mehr.

Solche Sachen wurden belohnt. Ausser mir hat der Leder noch andere Bergkameraden verpfiffen. Er hat sich bis zum Polizeipräsidenten von Dresden empor gepfiffen.

Am 26.09.1947 habe ich den Escheriss am Satanskopf durchstiegen. Zur selben Zeit wollte Hans Ruge, der Sohn von FRANZ RUGE, die Vettervariante an der Wolfs Spitze klettern. Da er noch nicht zurück war schaute ich nach. Er war zu tief nach rechts gegangen und scharrte nun mit letzter Kraft im viel schwereren Originaleinstiegsriss. Das Seil hing frei herunter. Er hatte keine Zwischensicherung angebracht. Als ich das sah nahm ich dem Nachsteiger das Seil aus der Hand und kletterte damit links an der Massivwand empor. Ich fand eine Zacke an der ich mich festhalten und das Seil dahinter legen konnte. Dann schwang ich das Seil über einen kleinen Buckel linkerhand vom Hans, in der Hoffnung dass die Reibung es dort hält. Es war gerade noch rechtzeitig. Im nächsten Moment geschah was geschehen musste. Den Hans verließen die Kräfte. Er stürzte und ich konnte ihn knapp über dem Sandsteinplateau abfangen. Ausser einigen Hautabschürfungen fehlte ihm nichts. Ohne meine Hilfe wäre er tot gewesen. Ich bin dem Franz Ruge an 17ten Juni 1953 und bei anderen Gelegenheiten begegnet. Ich war immer auf der Gegenseite. Aber ich hätte nie gedacht, dass dieser Mann ausgerechnet mich, den Lebensretter seines Sohnes, verpfeift.

Hans JOCHEN SCHOLZ (Joscho) der in den ersten Nachkriegsjahren als wir hungerten mit mir Kartoffeln klaute und auch gelegentlich mit mir kletterte, ging später Karriere fördernd zur Vopo. Damit gehörte er nicht mehr zu meinen Freunden. Ich nahm ihn aufgrund seines Seitenwechsels gelegentlich auf die Schippe. Darauf sagte er später auch einmal auf der Heimfahrt in Zug zu mir: “Wenn Du mich provozierst kann ich Dich auch anzeigen“. Das hat er wie die Akte zeigt wohl später auch getan. Ich habe diese Überläufer immer provoziert. In meine Augen waren es Charakterschweine. Nach dem Mauerfall schrieb er mir: “Ich sollte doch das alles vergessen, das waren doch nur kleine ideologische Differenzen“. In den Augen der Steigbügelhalter des Zwangsregimes war das vielleicht so. Aber auch die wussten was in Bautzen und den vielen anderen Strafanschalten des Regimes geschah. Ausserdem meinte er, das müsste evtl. ein Doppelgänger gewesen sein. Feige waren sie alle. Vor einiger Zeit hat er ein Buch geschrieben. Ich habe es nicht gelesen und werde es auch nicht lesen. Freunde sagten mir, darin würde ich gelobt. Ich brauche kein Lob, und von so einem Typen gleich gar nicht. An meiner Einstellung wird das nichts ändern.

Er hat es bis zum Staatsanwalt geschafft. So etwas konnte nur werden, wer seine Treue zum Regime unter Beweis gestellt hatte. Diese Leute sollten doch das Recht im Sinne des Regimes auslegen. Sie waren also für meine Begriffe nicht nur Mitläufer, sondern auch Mittäter. Beim Prozess gegen Martin Biock saß er als beobachtender Staatsanwalt am Rande im Saal. Martin Biock wurde verurteilt und landete im Gläsernen Sarg in Brandenburg. Diese Bezeichnungen waren die Ausdrücke der im Umfeld lebenden Bevölkerung. Sie drückten aus was in diesen Strafanstalten geschah, ähnlich wie im bekannteren Gelben Elend in Bautzen.

Wir hatten damals keine Schweigepflicht bezueglich Bezahlung. Ich verdiente wesentlich mehr als der PARTEISEKRETÄR (Familienname Weber) des Institutes in dem ich arbeitete. Das habe ich genutzt um seinen Neid anzustacheln. Ich habe ihn wegen seines unrentablen Postens ganz ordentlich provoziert. Der hat sich über die Gelegenheit mir etwas auszuwischen wahrscheinlich gefreut. Aber bei ihm ging das in die Hose. Ich hatte mich nach dem Ingenieurabschluss für ein Aufbaustudium beworben. Dafür war eine Beurteilung des Parteisekretärs nötig. Er schrieb ich müsste mich zunächst gesellschaftlich (d.h. politisch im Sinne des Regimes) bewähren. Ich habe später von München dem  Institutsleiter geschrieben und um ein Zeugnis gebeten. Dem Brief legte ich die Beurteilung des Parteisekretärs bei, mit der Bemerkung, dass ich in Zukunft  solchen sozialistischen Schwachsinn nicht mehr nötig hätte, bei. Der Institutsleiter konnte mir nicht antworten. Das wäre für ihn sicher gefährlich gewesen. Aber er hat die Sache genutzt um sich seines scharfen Parteisekretärs zu entledigen. Er äusserte, man könne Leute die kreative Mitarbeiter aus dem Lande ekeln nicht auf solchen Posten belassen. Ich erfuhr das später von meinem verfahrenstechnischen Chef, der 6 Monate nach mir in den Westen ging und bei Kraus Maffai Leiter der Zellstoffanlagen Planung wurde. Das nur zum Charakter solcher Leute die als Zuträger der Stasi arbeiteten. Die anderen Mitläufer waren nicht besser.

Es gab bereits Jahre vorher eine Überwachung meiner Person und auch Denunziation. In diesem System war es sogar möglich ungeliebte Personen einfach mit frei erfundenen Storys zu belasten. So befindet sich in meiner Stasiakte auch ein Papier in dem meine Schwiegermutter und deren Mutter mich, den ungeliebten Schwiegersohn, der Agententätigkeit verdächtigen. Diese haltlose Beschuldigung hat die Stasi allerdings nur abgeheftet.

Dabei habe ich nie etwas unrechtmässiges getan, nur meine Kritik am Regime immer offen und provokant ausgesprochen. Dazu wäre es nicht erforderlich gewesen mich zu bespitzeln, das konnte jeder auch so hören.

Das einzige was ich unerlaubt getan habe, war die Beseitigung des Russendenkmals am Dreissigplatz in Mickten. Das hat die Stasi nie erfahren. In der Stasiakte ist es nicht eingetragen.

Es gab auch anständige Freunde. Gerhard Jeschke und Inge Gamm gehören dazu. Es gab da eine Grünfläche mit einem Denkmal für den unbekannten Rotarmisten. Mich störte das. Schliesslich hatten meine Kameraden, die unter elendigen Verhältnissen in der Kriegsgefangenschaft verreckt waren, auch kein Denkmal. Sie waren gegen ihren Willen eingezogen worden, genauso wie die Rotarmisten, und wurden bestraft weil sie auf der Verliererseite waren. Ich meinte das Denkmal gehört weg.

Während einer der Stromabschaltungen im März 1947 ging ich nachts mit einem kleinen Beil unter der Jacke zum Dreissigplatz. Die Beseitigung ging leichter als ich glaubte. Das Denkmal bestand aus einem mit rotem Stoff bespannten Holzobelisk, an dem eine ebenfalls mit rotem Stoff bespannte beschriftete Holzplatte angenagelt war. Ich konnte sie mit den Händen einfach abwürgen. Der Obelisk mit den Stofffetzen blieb stehen. Mit der Holztafel unter Arm und Jacke lief ich schleunigst die wenigen Meter in mein Zimmer.

Die Platte wurde sofort zu Brennholz verarbeitet, die Bespannung mit der Beschriftung ging im Rucksack mit zur Bergfreunde Hütte. Wollte ich meinen Triumph doch mit Freunden teilen. Gerhard Jeschke und Inge Gamm waren anwesend als ich den Stoff durch die offene Herdplatte des Kanonenofens im kleinen Zimmer den Flammen übergab.

Fuer Gerhard hätten sich sicher Vorteile ergeben wenn er, als er sich zum ABF Abitur entschloss, meine Tat verraten hätte. Inge hatte später Gründe als  verlassene Freundin und ausserdem  Sekretärin bei der Landesregierung Sachsen. Beide sind in meiner Stasiakte nicht zu finden. Es wurde nie geklärt wer das Denkmal schändete. Der Obelisk wurde von der Gemeindeverwaltung beseitigt und das Denkmal nicht erneuert.

Ablauf meiner Verhaftung:

Ich ging am Morgen des 09.03.1954 zu meiner Arbeitsstelle. Im Durchgang beim Pförtner sagte ein junger Mann: “Rost“. Ich antwortete: “Ja“. Er sagte ich solle mit ins Krankenhaus kommen, der Walpert Bubi sei verunglückt. Mit der Straßenbahn, evtl. verliert er ein Bein. Ich schaffte noch meine Tasche ins Büro, da war der Typ bereits hinter mir. Ich hatte schon auf den Lippen zu sagen, hier kannst Du nicht so einfach herein, das ist so eine staatliche Gammelbude, da könnte es Ärger geben. Gut dass ich es nicht ausgesprochen habe.

Ich wollte zur Straßenbahn. Der Mann sagte wir sind per Auto hier. Bubi arbeitete bei der Reichsbahn, da könnte es schon sein, dass die einen Dienstwagen hatten, einen Viertürer. Der Beifahrersitz war besetzt, und hinten sass auch schon ein Mann. Mein Begleiter hielt mir die Tür auf und stieg nach mir ein. Der Wagen rollte an. Da zog mein Sitznachbar eine kleine Plastikkarte, ähnlich unseren heutigen Kreditkarten, aus seiner Jacke. Er sagte: “Damit sie wissen wo sie sich befinden – Staatssicherheit. Fluchtversuche sind aussichtslos, wir sind alle bewaffnet“.

Es ging quer durch die Stadt in den Hof einer ehemaligen Wehrmachtsstallung am Nordplatz, die von russischen Posten gesichert war. Mir wurde alle Bekleidung ausser den Schuhen ohne Senkel, einer Turnhose die ich damals statt Slip trug, der langen Hose ohne Hosenträger und Gürtel, sowie einem dünnen weissen Hemd ohne Unterhemd, abgenommen.

Dann begann das Verhör. Ich wurde zum 17ten Juni 1953 befragt. Ich habe alles reichlich erzählt. Die wussten doch sowieso alles. Ich kannte doch die Zuträger, hatte sie auf dem Postplatz gesehen, auch den Ruge Franz. Dachte, wenn ich alles erzähle was die wissen, kommen sie hoffentlich nicht auf die Idee nach Dingen zu bohren die sie nicht wissen. Sie wollten wissen wem ich da begegnet bin, wer meine Freunde sind, was wir da in Sprechchören gerufen haben uam. Es wusste doch jeder mit wem ich kletterte, und das war auch in den Gipfelbüchern zu lesen. Mit dem der mich verhörte konnte ich mich einigermaßen zivilisiert unterhalten.

Dann wurde ich in den Speicher unter dem Dach gesperrt. Dort war es saukalt in meiner dünnen Restbekleidung. Anschließend wieder Verhör im Büro, die gleichen Fragen aber ein anderer Typ. Für den war brüllen die Normalsprache. Er forderte mich auf als Gegenleistung für meine “Vergehen“ Spitzeldienste zu leisten. Als ich ablehnte brüllte er immer lauter.

Dann wieder Speicher und danach wieder zivilisiertes Verhör durch den Ersten. Es kam ein Angebot für Bezahlung der Spitzeldienste. Dann wieder Speicher und wieder der Brüllheini mit Drohungen. So ging es den ganzen Tag bis nach 22:00 Uhr. Anschließend Protokoll mit Schweigeverpflichtung. Dann quer durch Dresden per Fuß, weil keine Straßenbahn mehr fuhr.

Am nächsten Morgen erzählte ich alles meinem Chef. Die Büros waren damals noch nicht verwanzt. Der sagte: “Bei unserer Ausbildung bleibt uns immer noch der Westen“. Er informierte auch den Institutsleiter, einen Professor Dr.-Ing, der als Held der Arbeit ausgezeichnet und ausserdem Mitglied der staatlichen Plankommission war. Dem musste ich das alles dann auch noch mal genau erzählen. Er sagte mir nur, ich solle mich mit meinen kritischen Äußerungen besser etwas zurückhalten, und sollte erzählen ich wäre auf dem Wohnungsamt gewesen. Ein Freund des Regimes war er nicht, trotz seiner Posten, und auch kein Genosse. Aber man brauchte ihn – noch.

Historischer Verlauf meiner von Regimegegnerschaft geprägten Ostzonenzeit.

Im Oktober 1946 wurde ich aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen. Danach hätte alles sehr schön werden können. So wie ich mir das vorgestellt hatte wurde es leider nicht.

In Frankfurt / Oder bekamen wir unsere Entlassungsscheine, Format Postkarte, plus 3.-Mark. Bei den Russen war immer alles knapp, auch das Papier.

Wir sollten zunächst per Bahn nach Leipzig gebracht werden, wo ein Funktionär der KPD uns offiziell mit einer Rede verabschieden wollte. Zusammen mit einem Kameraden wählte ich den kürzeren Weg. Wir stiegen ohne Fahrkarte in einen Zug nach Cottbus.

In Erinnerung an Soest, wo ich mich unerlaubterweise vom Zug zur Front entfernt hatte um ein großes dunkles Bier Marke Dortmunder Union zum Preis von 50 Pfennigen zu trinken, kaufte ich mir in Cottbus beim Umsteigen einen Pappbecher dunkles Bier zum Preis von 85 Pfennigen. Es wurde eine Enttäuschung. Es war Molkenbier und schmeckte scheusslich.

Die Schaffner verlangten von entlassenen Kriegsgefangenen keine Fahrkarte. Ich fuhr bis Dresden Neustadt, und per Strassenbahn weiter nach Mickten. Schon im Zug konnte ich erfahren, dass Mickten beim Luftangriff auf Dresden verschont geblieben war. Dass meine Großmutter und Mutter noch lebten erfuhr ich erst als ich geklingelt hatte.

Der Empfang war sachlich nüchtern. Da steckte noch der Preussengeist meines verstobenen Vaters drin, der eine Umarmung wohl als Verweichlichung betrachtet hätte. Am besten war das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir solange sie keinen Mann hatte. Aber inzwischen war ein neuer Anwärter da. Meine Mutter zitierte oft einen Bibelspruch der da hiess: “Jeder Mann sei Untertan der Obrigkeit die Gewalt über ihn hat“. Ihre Männer waren scheinbar immer auch gleich ihre Obrigkeit, obwohl sie die intelligentere war. Dadurch war das Verhältnis zwischen uns grundsätzlich etwas gestört.

Im Korridor entdeckte ich eine rote Fahne. Mutter sagte, die hätten sie aus Angst vor den Russen heraus gehängt. Sie sagte: “Man muss mit den Wölfen heulen“. Für mich galt das nicht. Ich steckte die Fahne in den Küchenherd wo gerade Feuer brannte.

Wir haben kurz und emotionslos die zu erledigenden Formalitäten besprochen. Ich musste mich beim Arbeitsamt melden wo ich eine Nichtarbeiter Lebensmittelkarte bekam. 2 Wochen Später musste ich mit dem Nachweis einer Arbeitsstelle wieder erscheinen, um eine Arbeiterkarte zu erhalten.

Habe mich auf dem Heimweg so im Vorbeigehen bei der Firma Michel und Gruetzner, einer Neugründung, ohne irgendwelche Papiere vorgestellt. Danach bin ich per Bahnsteigkarte ins Elbsandsteingebirge gefahren.

(Meine Mutter die heiraten wollte musste einige Wochen warten. Damals wurde man erst mit 21 volljährig. Ich sollte auf einem Vordruck den neuen Mann als Vormund anerkennen. Ich sagte: “Ihr habt wohl einen Vogel. Frontsoldat und Kriegsgefangener musste ich ohne Vormund werden, und jetzt brauche ich für mein Privatleben einen Vormund. Das unterschreibe ich nicht. Meine Mutter zog trotzdem bereits zu ihrem neuen Mann. Ich wohnte ab da allein in einem kleinen Zimmer, das der neue Mann meiner Mutter nicht betreten durfte.

Hier füge ich eine Beschreibung meines Zimmers ein.

Mein Zimmer gehört nicht unbedingt da hinein, aber es war ein Abenteuer für sich. Deshalb beschreibe ich es. Nachdem meine Mutter zu ihrem neuen Mann gezogen war, lebte ich 1 Monat lang allein in der Wohnung. Mein Zimmer hatte 16m². Eigentlich hätten mir nur 8m² zugestanden, aber man konnte den Raum schlecht teilen. Ich hatte nun Zeit einige Änderungen vor zu nehmen.

Die Elektro Kabel waren zur damaligen Zeit auf Putz in Bleirohren verlegt. Vor dem Krieg war die Elektro Installation einmal erneuert worden. Die alten Kabel hatte man belassen. Jetzt wo alles knapp war, war dieses Material wertvoll. Ich konnte damit gelegentlich bei irgendwem eine Reparatur oder Änderung gegen einen Kanten Brot vornehmen. Also habe ich zunächst alle überflüssigen Leitungen heraus gerissen. Dann wurde es Abend und dunkel. Ich fand die Leitungen nicht so recht zusammen. Als ich die Sicherung einschraubte ging die kaputt. Sicherungen gab es nicht. Also Nagel hinein. Hauptsicherung des Hauses kaputt. Nagel hinein. Strassenzug ohne Strom. Alle Nägel raus und ins Bett. Nun war zumindest die Quelle des Übels nicht mehr erkennbar. Erich Fichtner, der damals noch nicht rot und somit noch mein Freund war, erzählte mir danach dass er an diesem Abend für die Drewag in die Lützowstrasse geschickt wurde, dort aber nur eine Sicherung eindrehen musste weil nichts kaputt war. Scheinbar hatte die Drewag Sicherungen. Wer die Hauptsicherung im Haus getauscht hat weiss ich nicht. Ich musste anderentags, nachdem es draussen hell war, nur meine Kabel sortieren und den Nagel wieder in die Sicherungsdose stecken.

Es gab viele Stromabschaltungen in dieser Zeit, und in der Küche gab es eine Gasleitung. Der Gaskocher stand an der Wand zu meinem Zimmer. Es gab nichts einfacheres als oberhalb des Gashahnes ein T-Stueck in die Leitung zu setzen, und da einen Abzweig direkt durch die Trennwand in mein Zimmer gehen zu lassen. Als das fertig war, sah es aus wie eine Muffe am Eingang in den Gashahn. Bei mir im Zimmer habe ich einen zweiten Gashahn angebracht, mit Eignung für Schlauchanschlüsse. Da konnte ich dann viele Abzweigungen per Schlauch anbringen z.B. für 4 Röhren mit je 6 Löchern in den 4 Ecken der Ofenröhre meines Kachelofens. Damit war die Gasbackröhre fertig. Ich habe auch eine Gewindebuchse in der Wand versenkt in die ich ein Rohr einschrauben konnte das zur Raummitte reichte. Daran konnte ich eine Gaslampe mit Glühstrumpf aufhängen wenn der Strom weg war. Aber ich konnte die Ofenröhre bei Gasabschaltung auch als Elektro Backröhre nutzen. Da habe ich mehrere Elektro Heizkörper einer Verpackungsmaschine genutzt. Die Dinger hatten unter den Trümmern liegend sehr gelitten. Aussen waren sie total verrostet, aber sie funktionierten noch. Alle Möbel waren uralt und mit grauer Maschinenfarbe ueberstrichen. Wo ich einen Schraubstock auf die Kommode montiert hatte musste ich den oberen Schieber ausschneiden. Die Bude war so voll mit alten Klamotten dass man kaum treten konnte. Es gab auch einen Kanonenofen zu Kochen, dessen Abgasrohr im Kachelofen mündete. Einen Gaskocher hatte ich mir vom Schrottplatz geholt und betriebsfertig gemacht. Eine 2kw Kochplatte hatte ich mir aus Winkeleisen gebaut. Als ich einmal Trockenerbsen kochte bin ich eingeschlafen. Als ich aufwachte war das Wasser verdampft, der Gusseisene Kochtopf glühte und die Tischplatte brannte. Es gab noch andere technische Dinge Marke Eigenbau. Sicherheitsstandard gleich null.

An der Wand hing ein Bild mit Fritz Markert und mir auf der Empornadel, mit einer Unterschrift: “Uns geht die Sonne nie unter“. Als der Fritz rot wurde habe ich das Bild entfernt und später durch eines von der Meurerturm Westwand ersetzt.

Geheizt habe ich mit geklauten Holz von den Meterstapeln im Elbsandstein. Der Förster von Schmilka hatte uns gesagt, von den Stapeln mit blauem Kreuz könnt ihr euch bedienen, die sind für die Russen und bereits abgenommen. Habe mir daraufhin vom Nitschner einen Rucksack bauen lassen, der fuer die Aufnahme von Halbmeterstücken geeignet war. Ein kleines Beil hatte ich immer dabei. Abends vor der Heimfahrt zerlegte ich dann einige dünne Stämme, halt so viel wie der Rucksack Platz bot, in der Mitte durchgehackt und eingepackt.

Streichhölzer waren auch Mangelware. Alternativ gab es Generatoranzünder. Wegen Treibstoffmangel fuhren damals die meisten der wenigen Autos mit einem Holzgasgenerator. Da waren Kübel in die man Kleinholz einschüttete hinten auf die Fahrzeuge montiert. Das Holz versetzte man in Schwelbrand. Das dabei entstehende Schwelgas ersetzte den Treibstoff. Der Schwelvorgang wurde von unten mit einem solchen Generatoranzünder in Gang gesetzt. Mit Streichholz und Papier konnte man da nichts bewirken. Der Generatoranzünder bestand aus einer Pappröhre mit einer gut brennenden Pulverfüllung. Vorn hatten diese Dinger eine Reibefläche wie ein Streichholz. Das Pulver produzierte einen Feuerstrahl, der weit in das Innere des Kleinholz Kübels reichte.

Es war mein erster Versuch mit einem solchen Anzünder. Aber meine sicher nicht absolut durchgetrockneten Holzstücke wollten nicht so recht brennen. Ich ging zur Kommode in der sich eine leere Zigarrenkiste befand. Wollte paar trockene Spaene machen. Während dessen muss etwas glühendes Material aus der offenen Ofentür auf die Zündflächen der dort liegenden Generatoranzünder Packung gefallen sein. Alle Anzünder zündeten gleichzeitig. Die Packung hob wie eine Rakete ab, und kreiste im Zimmer. Der Holzfussboden, der als Startrampe diente, brannte, und alles war in Qualm gehüllt. Ich riss die Fenster auf, und die Leute auf der Strasse rannten zu meiner Wirtin, sie solle mal schauen ob es bei mir im Zimmer brennt.

Es gäbe noch viel zu berichten. Ich will es bei dem belassen.

Ich wohnte im Erdgeschoss und wenn ich Damenbesuch bekam mussten die teilweise über ihren Fahrradsattel durch das Fenster einsteigen. Meine neugierige Wirtin musste doch nicht alles sehen. Einen eigenen Wasseranschluss gab es nicht und die Toilette befand sich auf der anderen Seite des Ganges. Hatte immer einen 10 Liter Zinkeimer auf Vorrat.

Das war also meine Unterkunft die ich mit Unterbrechungen bis 1952 bewohnte.

Wir registrieren gar nicht mehr wie gut es uns heute geht!

Auf der Bergfreunde Hütte traf ich 3 Kameraden. Alle waren gegen die Kommunisten. Das passte. Im Beutenfall haben wir die Katze geklaut und geschlachtet, damit wir etwas zu essen hatten. Nach kurzer Zeit konnte ich wieder schwer klettern. Die Wassersucht, wegen der ich entlassen wurde, war verflogen. Hatte alles ausgeschwitzt. Wahrscheinlich half der Angstschweiss.

Zwei der Kameraden von damals sind, etwa 3 Jahre später, der Vorteile wegen, zu den Kommunisten übergelaufen. Der Dritte, Gerhard Poehler, kam wegen seiner antikommunistischen Haltung mit der Stasi in Konflikt, und hat sich mit den Abgasen seines Taxis selbst vergiftet. Ich habe mich von Mitläufern des roten Regimes grundsätzlich schnellstmöglich getrennt.

Bei Michel und Gruetzner fing ich als der Jüngste mit dem niedrigsten Stundenlohn von 85 Pfennigen an. Ein Zweipfundbrot kostet damals auf dem Schwarzmarkt 85 Mark. Kein grosser Anreiz zu arbeiten. An Weihnachten wurde mein Lohn auf 95 Pfennige erhöht.

Die Firma hatte kein eigenes Programm. Es wurden ausgebrannte Maschinen aus den Trümmern der zerbombten Stadt geborgen, die verbogenen Stahlteile zerspant und die Guss Teile in ein Bad mit Salzsäure, Schwefelsäure und Wasser gehängt. Am Folgetag wurde alles mit  Drahtbürsten gereinigt, mit Wasser gespült, getrocknet und eingeölt. Danach wurde ein Käufer gesucht. Anschliessend begann die eigentliche Arbeit.

Der Chef fuhr mit einem Handwagen zum Schrotthändler und kaufte Rundstahl, Keileisen und was sonst voraussichtlich noch gebraucht wurde. Dann haben wir uns vorgestellt wie die Maschine wohl mal ausgesehen haben könnte. Anschliessend begann die Teilefertigung.

In der Firma arbeiteten mehrere hochqualifizierte Leute, die wegen früherer oberflächlicher Kontakte zu den Nazis, Berufsverbot hatten. In den verstaatlichten Grossbetrieben hatten die zu der Zeit keine Chance. Es waren auch Ingenieure und Techniker dabei. Das erleichterte die Rekonstruktionen wesentlich. Gelegentlich wurde in Gemeinschaft beraten. Ich hielt mich zurück. Zweimal hatte ich die richtige Loesung, habe mich aber nur ganz leise gemeldet. Mein Vater hatte mir eingeprägt: “Kinder haben Erwachsenen nicht zu widersprechen“. Ich fühlte mich immer und gerne als Kind. Obwohl ich mich daheim wenig daran hielt, steckte da immer noch etwas drin. Schliesslich war ich der Jüngste in der Firma.

Dann meldete ich mich mal, als sich mein Vorschlag als der Richtige herausstellte, mit den Worten: “Das habe ich doch gleich gesagt“. Der Chef meinte, ich hätte mich lauter melden sollen, wenn ich weiss dass ich richtig liege, und er sagte wörtlich: “Wenn Du wieder mal weisst dass du richtig liegst und ich falsch, dann sagst du ganz laut und deutlich, Alter Du bist ein Rindviech, das muss anders gemacht werden“. So deutlich hätte er sich wohl nicht ausdrücken müssen, aber er wollte mich wahrscheinlich ermutigen.

Es ergab sich ein sehr gutes Arbeitsverhältnis. Nach zwei Jahren war ich der bestbezahlte Mitarbeiter in der Firma. Ich arbeitete nun nur noch teilweise am Schraubstock. Meine Haupttätigkeit bestand in der Anfertigung von Skizzen für mechanisch zu fertigende Teile. Ich war jetzt auch der Einzige der dafür infrage kam. Die besser Qualifizierten waren inzwischen entnazifiziert und in ihre Ursprungsberufe zurückgekehrt.

Die Firma war in der Leipziger Strasse in einem Schuppen gegenüber vom Pieschener Hafen. Eines Tages, als ich zur Arbeit ging, marschierte eine Kolonne die Leipziger Strasse entlang und sang aggressive proletarische Kampfeslieder. Die 3 in der vorderen Reihe hatte man in rote Trainingsanzüge gesteckt, der Mittlere trug die Fahne. Es waren Honneckers neu gegründete Horden, auch FDJ genannt. Mir lief es kalt über den Rücken. Es war doch noch gar nicht so lange her dass ich die Uniform abgelegt hatte. Nun ging der gleiche Mist schon wieder los. Für mich war und blieb der Honnecker der Schlimmste vom kommunistischen Gesindel.

Jedes Wochenende war ich im Elbsandstein. Es dauerte nicht lange da galten Karlheinz Gonda und ich als die besten Kletterer im Elbsandstein.

Hier füge ich meinen schon früher geschriebenen Aufsatz “Erinnerungen an Karlheinz Gonda“ ein.

Wann ich den Karli das erste Mal sah weiß ich nicht mehr genau, aber es war 1947. Gegen Ende des Jahres sahen wir uns in der Wohnung von Hans Miersch, wo über die Neuauflage des Kletterführers gesprochen wurde, und welche Touren neu aufgenommen werden sollten. Duerichen, der damals noch nicht so links war wie er später wurde, hatte die Angelegenheit von Micklich übernommen.

Es kam das Thema Ringe zur Sprache. Wir wollten zur alten Regel zurück die da sagte: “Jedes Eisen im Fels ist ein Stück verloren gegangenes Bergsteigertum“. Karli und ich lagen gleich auf einer Wellenlänge. Keine Routen streichen, sondern gegebenenfalls Ringzahl reduzieren. Es gab Bedenken weil das dann nicht mehr mit der Ausführung der Erstbegeher übereinstimmte. Wir waren dafür, die Namen der Erstbegeher im neuen Führer nicht zu vermerken. Wir konnten uns mit dieser Ansicht leider nicht durchsetzen. (Ich denke es wäre besser gewesen.)

Wir haben nur wenige Touren gemeinsam geklettert. Das kam daher, dass es damals im Elbsandstein Vorsteiger und Nachsteiger gab. Die Einen stiegen fast immer vor, die Anderen stiegen fast immer nach. Vorsteiger waren die mit den stärkeren Nerven. Wir waren beide Vorsteiger. Trotzdem waren wir gelegentlich zusammen, weil der Karli auf der Schusterhütte verkehrte und ich auf der Bergfreundehütte, die nur 400m auseinander liegen. Ende Dezember sind wir mal gemeinsam unerlaubt über die Grenze ins Prebischtorgebiet und haben da u.a. zusammen den Strubichweg am Einser geklettert.

Um die Jahreswende 1947/48 bekamen wir jeder einen Brief, mit den Abzeichen von FDGB und FDJ im linken oberen Eck. Wir wurden darin als Spitzensportler  und Experten des sächsischen Bergsports bezeichnet. Ausdrücke, die ich bis dahin gar nicht kannte. Es stand darin geschrieben, dass wir für unsere Leistung eine bessere Verpflegung benötigten, und dass wir uns deshalb ein Lebensmittelpaket in irgendeiner Dienststelle abholen könnten.

Mir war sofort klar, was da gespielt wurde. Die suchten Leitbilder, die andere nachziehen sollten. Sozusagen Kommunistenwerbung. Ich habe zunächst nachgeforscht, ob auch andere so einen Brief erhalten haben. Als nächster in der Folge wäre Walter Lenk infrage gekommen. Der hatte nichts.

Dann habe ich mich mit dem Karli in Verbindung gesetzt, und ihm vorgeschlagen, die Pakete nicht abzuholen. Ich sagte ihm: “Die können das doch nur aus dem großen Topf nehmen. Was wir bekommen, nehmen sie der Allgemeinheit weg. Morgen kommen dann vielleicht die Fußballer dran, übermorgen die Handballer usw. Dann nehmen sie auch von uns etwas weg. Wir sollten uns nicht für so was missbrauchen lassen“.

Karli war sofort einverstanden. Vielleicht auch, weil ich etwas älter war. Ich weiß es nicht. Da wo der Karli geklettert war, lagen weiterhin die rohen Schalen der Kartoffeln, die er sich vorher vom Feld geholt hatte. Wir schoben beide schwer Kohldampf. Es folgten weitere Angebote. Wir sind bei unserer Ablehnung geblieben. Auch als der Kreis erweitert wurde, habe ich mich bemüht, die Kameraden zur gleichen Ablehnung zu bewegen. Solange wir in der Ostzone lebten, haben es die Kommunisten nicht geschafft, die Bergsteiger zu organisieren, eine Nationalmannschaft aufzubauen etc.

(Karlheinz Gonda stürzte 1953 nach der 12ten Durchsteigung der Eiger Nordwand vom Gipfeleisfeld tödlich ab.)

Jahre später bezeichnete ein regimegetreuer Schreiberling neben einigen anderen auch den Karli und mich als Verräter der Republik. In der 2ten Auflage seines Buches, die kurz vor der Wende erschien war, hat er in Vorahnung dessen was da kommen würde diese Passage weggelassen. Das ist die Kunst der Wendhälse. Später schrieb er gelegentlich für den DAV. Sein Name ist Karl Daeweritz.

Eines Tages kam mein Chef zu mir und sagte: “Heute ist viel kaputt und es gibt viel Arbeit. Irgendwann werden nur noch die Besten einen Arbeitsplatz haben. Du solltest die Meisterprüfung machen“. Ich sagte ihm, dass ich gern die Technikerschule besuchen möchte, aber alleinstehend bin und die Möglichkeit bräuchte mir nebenher das nötige Geld zu verdienen. Er meinte, darüber liesse sich reden.

Für die Aufnahme zum Studium standen 3 Voraussetzungen zur Wahl:

1.) Abitur, das man auch über die Arbeiter und Bauern Fakultät staatlich gefördert nachholen konnte. Dafür war der Eintritt in die FDJ erforderlich. Das kam für mich keinesfalls infrage.

2.) Zwei Vorsemester, die kosteten Zeit die ich auch hätte finanziell überbrücken müssen.

3.) Eine Aufnahmeprüfung, bei der es nicht viel zu verlieren gab. Ich entschloss mich für letzteres. Bei der Direktionssekretärin erfragte ich was da geprüft wird, und bereitete mich anhand meiner Berufsschulbücher und anderer Literatur auf diese Prüfung vor.

Mein Seil Gefährte Gerhard Jeschke, von Beruf Dreher, wollte auch studieren. Er konnte von daheim keine finanzielle Unterstützung erwarten. Er entschloss sich zum ABF Abitur. Der von mir gewählte Weg erschien ihm zu anstrengend. Außerdem meinte er, wir hätten uns schon während der Nazizeit gegen alles gestemmt und auf Vorteile verzichtet, diesmal wolle er es anders machen. Darauf sagte ich ihm: “Wenn Du diesen Weg gehen willst, ist es das Beste wir trennen uns,  bevor wir später im Streit auseinander gehen“. Ein Haendedruck unter Freunden und Berggefaehrten besiegelte das. Ich habe den Gerhard danach nur noch einmal gesehen, als ich den Bergweg am Heringsstein kletterte. Er ging im blauen FDJ Hemd unten vorbei und grüsste nach oben.

Gerhard hat sein Sprachenstudium mit Auszeichnung bestanden und bekam daraufhin eine Dolmetscherstelle bei der Regierung in Ostberlin angeboten. Als er annahm war die Familie nicht bereit das zu tolerieren. Sie trennten sich von ihm und wissen bis heute nicht was aus dem Gerhard geworden ist und ob er noch lebt.

Ich würde den Gerhard gern noch einmal treffen. Ich glaube ihm die Hand geben zu können und würde das auch tun. Der Gerhard war immer ein anständiger Kerl. Er erscheint nicht in meiner Stasiakte. Er hat einen anständigen Beruf gewählt der da einiges mit sich brachte. Ich denke, dass er sich trotzdem nicht an das Regime verkauft hat. So sehe ich es zumindest.

Anders war das bei Fritz Markert. Ich bekam 1943 den Vorbescheid für eine Einberufung zum Wehrertüchtigungslager in Strachlitz bei Prag. Dafür musste man seinen Urlaub verwenden. Der nächst jüngere Jahrgang bekam Kriegsdiensttage verordnet. Diejenigen die in der Bergsteiger HJ waren durften diese im Elbsandstein verbringen. Sie bekamen dafür ein weitgehend ausgefülltes und unterschriebenes Formular in das nur der Name einzusetzen war, das sie in ihrer Firma abgeben mussten um in Urlaub gehen zu können. Ich lies mir von Gerhard Jeschke, der noch in der Bergsteiger HJ war, ein solches Formular besorgen, füllte es aus und fuhr ins Elbsandstein. Die HJ Mitglieder trafen sich in einer Hütte in Krippen. Dort bekamen sie zunächst gegen Abgabe der Zugfahrkarte den Fahrpreis erstattet, und einen Becher Kunsthonig. Das habe ich auch in Empfang genommen. Keiner merkte dass ich gar nicht dazu gehörte. Dann wurden wir in einen Schlafraum im Parterre eingewiesen. Da sind Gerhard und ich durch ein Fenster abgehauen, und haben eine schöne Kletterwoche verbracht. Gerhard hatte bereits den Vorbescheid für die Einberufung zur Wehrmacht, und als er am Wochenende vom Bahnhof Schandau daheim anrief musste er zum Barras. Nun fehlte mir ein Seilgefährte für die 2te Woche. Aber da war gerade der Fritz mit dem Zug angekommen.

Der Fritz war älter. Er wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingezogen, weil er ein Glasauge hatte. Der Fritz war Pazifist und auch einer meiner Seilgefährten. Ich überredete ihn die beginnende Woche im Elbsandstein zu bleiben und mit mir klettern zu gehen. Wir hatten eine schöne Woche und sind viele sehr schwere Routen gemeinsam gegangen. Ich habe immer geführt. Das war für uns beide ein grosses Risiko. Wenn ich gestürzt wäre, hätte das als Selbstverstümmlung gegolten. Der Fritz war in der Rüstungsindustrie beschäftigt. Da war das Fernbleiben vom Arbeitsplatz strafbar. Er musste anschließend 3 Monate in den Knast.

Hier fuege ich die Kopie einer E-mail ein, die ich 2009 an den unehelichen Sohn von Fritz Markert geschickt habe, der gern etwas über seinen Vater wissen wollte. Das DANKE ganz oben ist die Antwort die ich bekam. Die Mail ersetzt die weitere Beschreibung.


DANKE

Von: Harry Rost [mailto:h.rost@cadatelier.de]
Gesendet: Mittwoch, 18. März 2009 15:41
An: louizelabe@t-online.de
Betreff: Antwort, Fritz Markert

Hallo Herr Wolff,

Ihre Mail erreichte mich in Neuseeland. Das ich darauf antworte ist eine Ausnahme. Ob Sie allerdings an der Antwort Freude haben weiss ich nicht. Aber sie ist ehrlich.

Ich lernte Fritz in 1942 kennen. Er ging damals mit Eberhard Davidek, der später gefallen ist, sehr schwere Touren im Elbsandstein.

Fritz sah gut aus, konnte gut singen, wurde nicht eingezogen weil er seit einem Unfall ein Glasauge hatte und war bei den Frauen beliebt, deren Männer grossenteils an der Front waren. Er war kein Nazi, war Pazifist, eher leicht links und ein zuverlässiger Seilzweiter.

Ich war aus der HJ ausgeschlossen worden weil ich nicht hinging, das war eine rein buchhalterische Angelegenheit. Nicht wie in einem Buch von Dieter Hasse steht, mit Schimpf und Schande. Später wurde die gesamte Jugend Abteilung des SBB, der ich angehörte, in die HJ eingegliedert. Da war ich dann ohne es zu wollen wieder drin. In meiner Homepage steht unter Info ausführlicher einiges zum Thema.

Wir sind in1943 gemeinsam viele schöne und schwere Touren im Elbsandstein gegangen. Ich habe viel blau gemacht, in der Einstellung, wenn ich irgendwann an die Front muss und dort erschossen werde, ist es gleichgültig ob mit gutem oder schlechtem Lehrabschluss. Außerdem empfand ich meine Bezahlung als zu niedrig. Fritz, der nach seinem Unfall ins Büro versetzt wurde, war der Meinung, ich müsste schon etwas mehr auch für meinen Beruf tun. Für mich hatte das Zeit.

Dann folgte meine Einberufung ins Wehrertüchtigungslager nach Strachlitz bei Prag. Diese Angelegenheit kommt irgendwann in die Homepage. Momentan habe ich weder Zeit noch Lust das im Detail zu beschreiben.

Es waren 2 Wochen, von denen ich eine mit Gerhard Jeschke beim Klettern verbrachte. Im Wehrertüchtigungslager war ich nie. Gerhard Jeschke erhielt dann die Einberufung zu Militär.

Die zweite Woche habe ich mit Fritz im Bielatal verbracht. Eine wunderschöne Woche. Jeden Tag 2 schwere Touren und mittags ins Luftbad. Ein Berliner fotografierte uns als wir auf dem Gipfel der Empornadel sassen. Fritz arbeitete in der Rüstung und hatte zu dieser Zeit keinen Urlaub.

Fritz musste dafür für 3 Monate in den Knast. Mich rettete mein Lehrlingsmeister. Ich wurde während dieser Zeit eingezogen. Als ich 1944 auf Genesungsurlaub kam war Fritz wieder draußen. Wir sind die Pechofenhorn Nordwand gegangen. Fritz musste kurz vor Kriegsende zum Volkssturm.

Mein Vater war früh gestorben. Als ich aus der Gefangenschaft kam heiratete meine Mutter einen Mann den ich nicht mochte. Ich wohnte allein, und musste mich hungernd durchschlagen. Bin nicht zu denen gezogen. Hatte ein kleines Zimmer. Ausserdem bereitete ich mich auf mein Studium vor, das ich durch Nachtarbeit finanzieren wollte, und auch habe.

Inzwischen waren einige Verbrecher damit beschäftigt in der Ostzone ein Gebilde zu installieren das sie spaeter DDR nannten. Diese Leute hatten weder eine Legitimation durch wirklich freie Wahlen, noch besassen sie die Fähigkeit einen Staat zu führen. Sie stützten sich auf die russischen Bajonette und Panzer.

Man brauchte Anhänger. Karlheinz Gonda und ich bekamen Anfang 1948 Briefe, wir sollten uns Lebensmittelpakete als Anerkennung für unsere bergsteigerischen Leistungen irgendwo abholen. Man suchte Idole, die andere nachziehen sollten. Wir gingen nicht hin. Das war eine Provokation, wo doch alle hungerten. Das Bild von der Empornadel hatte ich inzwischen abfotografieren und vergrössern lassen, hatte es gerahmt und darunter die Zeile: “ Uns geht die Sonne nie unter “ geschrieben.

Dann kam der Fitz aus der Gefangenschaft zurueck. Ich hatte mich darauf gefreut. Wir waren am Falkenstein. Ich erzählte dem Fritz, dass ich nun für meinen Beruf etwas tun wolle, ein Studium. Fritz sagte mir, er hätte sich um die Anerkennung als OdF oder VVN beworben, und wenn die erfolgt sei wolle er eine Offizierslaufbahn bei der NVA antreten. Aufgrund seiner Anerkennung könnte er die unteren Dienstgrade überspringen. Für mich war das ein Schock. Mein Freund Fritz, der Pazifist, Offizier und Steigbügelhalter eines Verbrecherregimes. Ich sagte daraufhin: “ Wenn du das tust können wir uns gleich für immer verabschieden, bevor wir später im Streit auseinander gehen „.

Wir haben uns danach nie mehr gesehen. Das Bild habe ich aus dem Rahmen genommen und die Zeile verbrannt. Wo das Bild abgeblieben ist weiss ich nicht, wo Kleinmachno liegt auch nicht. Interessiert mich auch nicht. Ich habe mein Studium in Eigenfinanzierung ohne Anpassung durchgezogen und bin danach in den Westen, wo ich auch auf Hilfe wie Sozialwohnung etc. verzichtet habe. Inzwischen weiss ich dass die Stasi mich auch in München noch bis mindestens 1986 beschattet hat.

In der freien Welt kann jeder sein Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten. Dazu sind keine Ideologien erforderlich, nur der persönliche Leistungswille.

Ob Fritz durch seine Entscheidung glücklich wurde bezweifle ich. Wenn ich richtig gerechnet habe wurde er 50, und davon die Hälfte beim Barras. Ob er seine Entscheidung je bereut hat weiss ich auch nicht. Ich denke mein ohne Vorteilsnahme bestrittenes Leben ist schöner.

Mehr weiss ich nicht und will damit auch keine weitere Zeit verschwenden. Vielleicht können Sie von Inge Fichtner etwas mehr, und auch anders dargestellt, erfahren. Die Anschrift müsste beim SBB Dresden bekannt sein. Sie war 1943 Fritzens Geliebte. Sie ist allerdings auch die Charakterlosigkeit in Person.

Mit freundlichen Grüssen,

Harry Rost


Kurze Erklaerung: VVN = Verfolgter des Naziregimes, OdF = Opfer des Faschismus

Aber er war nur der Arbeit fern geblieben, was damals strafbar war. In Kleinmachno (das ist in Pommern) ist Fritz gestorben.

Der Fritz war leider der Vorteile wegen auch zum Mitläufer geworden. Ich habe mich von allen Freunden die zu Mitläufern wurden sofort getrennt.

ABF ist Arbeiter und Bauern Fakultät.

Eine der Weisheiten meiner Großmutter: Schlechte Charaktere sollte man mit Verachtung strafen.

Als ich nach schönen Klettertagen nach Dresden kam lag die Einberufung ins Wehrertüchtigungslager da. Aber mein Urlaub war verbraucht. Ich ging mit dem Wisch zum Lehrlingsmeister. Der sagte: “Zweimal Urlaub gibt es nicht. Du hast das doch gewusst. Was hast du dir dabei gedacht? Die sperren Dich doch ein“. Ich antwortete: “Ich werde sowieso bald eingezogen. Da werde ich vielleicht erschossen. Da wollte ich vorher noch mal schön klettern gehen“. Er sagte darauf: “Wenn Du sowieso bald eingezogen wirst, dann melde dich doch einfach freiwillig. Da ist die ganze Angelegenheit ausgestanden“.

Ich antwortete: “Ich will am liebsten überhaupt nicht, oder so spät als möglich zum Militär. Schauen sie doch mal ans Schwarze Brett, da hängen die Todesanzeigen derer die vor 6 Monaten eingezogen wurden“.

Er machte mir einen Vorschlag. Er sagte: “Ich schreibe denen sie möchten bitte den Termin verschieben, weil du zur Zeit wegen dringender Rüstungsaufträge unabkömmlich bist“. Das sagte mein Lehrlingsmeister, der immer nur Ärger mit mir hatte. Es hat funktioniert. Ich habe das in meiner Naivität damals nicht so ernst genommen. Hinterher konnte ich mich nicht einmal bedanken. Mein Lehrlingsmeister ist beim Luftangriff auf Dresden verbrannt.

(Fortsetzung Ostzone)

Nachdem ich mich für die Aufnahmeprüfung für die Technikerschule beworben hatte wurde der Partei- und Gewerkschaftssekretär der Firma Michel & Gruetzner zur Beurteilung meiner Person aufgefordert. Es war der einzige Genosse im Betrieb, aber jede Firma musste unbedingt eine solchen Typen haben. Er brüstete sich offen mit seiner Wichtigkeit, und meinte jetzt könnte er meine ständige Kritik am Ostzonensystem beenden.

Kurt Weikert, ein ältere Kollege, sagte dem Chef, es dürfe doch nicht sein dass der Hübner Karl, wir nannten ihn Stülpner Karl, mir die ganze Zukunft vermasselt. Der Chef ließ sich den Brief geben, diktierte dem Buchhalter die Beurteilung, der Hübner, eine berufliche Niete wie fast alle Kommunisten, musste unterschreiben, und ich konnte den Brief zum Kasten tragen. In späteren Jahren, als die Kommunisten fest die Oberhand hatten, wäre so etwas allerdings nicht mehr möglich gewesen.

Ich habe die Prüfung mit viel Glück bestanden. Warum weiß ich selbst nicht. Hatte glücklicherweise einen Skiunfall, zu dem ich nachträglich und rückdatiert eine Versicherung abschließen konnte. 140.- Mark haben die gezahlt. Ich musste pro Semester 120.- Mark in 3 Raten als Studiengebühr zahlen. Somit fiel aufgrund der Versicherungssumme für das erste Semester glücklicherweise nur noch der Lebensunterhalt an.

Im ersten Semester habe ich teilweise kaum verstanden was die Dozenten da erzählten. Hatte wirklich nur mit viel Glück bestanden. Trigonometrie fiel mir besonders schwer. Außerdem war ich durch Frontzeit und Kriegsgefangenschaft ziemlich verblödet. Aber für dieses Semester war die Finanzierung des Lebensunterhaltes, teilweise bereits durch Ersparnisse, gesichert. Ich konnte mich auf das Studium konzentrieren, musste erst in den Semesterferien arbeiten, und natürlich danach auch.

Später habe ich ökonomisch studiert, wie ich das bezeichnete. Habe allgemein nur in den Fächern etwas getan die das Semesterziel hätten gefährden können. Die andere Zeit nutzte ich zum Geld verdienen oder ging klettern.

Nach dem Ende des Studiums benötigte ich zunächst dringend Geld. Die Ostzonenregierung wollte zu dieser Zeit im Erzgebirge eine Schwerindustrie mit eigenen Hüttenwerken, zwecks Unabhängigkeit vom Westen, aufbauen. Totaler Unsinn, von Schwachköpfen erfunden. Wo die Erze nicht vorhanden sind gibt es keine Unabhängigkeit, auch wenn da Hüttenwerke stehen. Man zahlte überdurchschnittlich gut, und auch im Büro bekam man Schwerstarbeiter Lebensmittelkarten. Ich ging nach dort, und wohnte in der stillgelegten Backstube im Häuschen meiner Großmutter in Conradsdorf bei Freiberg. Jeden Morgen lief ich eine gute Stunde über die Felder zu meiner Arbeitsstelle. Im Winter manchmal bis zum Bauch durch den Schnee wühlend.

Zwischendurch besuchte mich die Stasi als Polizei, mit einigen Fragen auf die sie dumme Antworten erhielten. Dumm stellen ist mir nie schwer gefallen. Meine ständige offene Kritik am Regime war ihnen ein Dorn im Auge. Sie mussten sich nicht vorstellen, ich wusste wer das war. Sie mussten mich auch nicht bespitzeln. Meine ablehnende Meinung zu diesem Regime, das auf russischen Panzern und Bajonetten basierte, konnte jeder hören, öfter als sie es wollten.

Ich arbeitete als Projekttechniker und wurde so bezahlt, führte aber ingenieurmässige Arbeiten aus. Habe mich beim Ministerium für Schwerindustrie in Berlin brieflich beschwert. Trotz Stasi etc. wurde mein Gehalt angehoben, auf die oberste Stufe des ersten Ingenieurbereiches. Ich nannte mich nun auch Ingenieur. Der Titel war damals nicht geschuetzt.

Kurz bevor der Matthias geboren wurde wechselte ich nach Dresden. Ich ging als Konstrukteur zum Institut für Holztechnologie und Faserbaustoffe an der Technischen Hochschule. Eine Uni hatte Dresden damals noch nicht. Dieses Institut war der Leichtindustrie unterstellt, die vom Verdienst her niederer eingestuft war. Konnte dabei eine kleine Gehaltserhöhung herausverhandeln, obwohl ich eigentlich nur den Ortswechsel als Ziel hatte. Nun hatte ich die Ingenieurstufe 3 untere Grenze, und bekam dazu eine Intelligenzkarte. Die Kollegen im Institut hatten auch eine Intelligenzkarte, aber dazu nur eine Angestelltenkarte.

Für diejenigen die das nicht wissen. Auf Lebensmittel- und sonstige Karten gab es viele Dinge des täglichen Bedarfs zu Spottpreisen, ohne diese Karten zahlte man ein Mehrfaches. Die Karten waren mindestens ebenso wichtig wie der Verdienst. Wir hatten durch diese Karten von allem im Überfluss. Trotzdem blieb ich offen und lautstark Gegner des Regimes.

Ein kleiner Trick war auch dabei. Die normalen Lebensmittelkarten gab die jeweilige Gemeinde aus. Die Intelligenzkarten gaben die wissenschaftlichen Einrichtungen als Zusatzkarten aus, und man bekam sie bei Eintritt automatisch vom Institut. Das war, damit nicht noch mehr dringend benötigte Fachkräfte in den Westen abwanderten. Beim Ortswechsel musste man die Lebensmittelkarte bei der neuen Gemeinde beantragen und dazu eine Bescheinigung des Betriebes abgeben in dem man arbeitete. Da hätte ich eine Angestelltenkarte bekommen. Da ich immer in Dresden gemeldet war und blieb, gab es keinen Ortswechsel. Keinem ist aufgefallen wie gut ich bei allem abgeschnitten hatte.

Und da war ein ehemaliger Studienkollege. Der war in Dresden verheiratet und hatte über die Woche in Freiberg ein Zimmer. Der bekam 120.- Mark für getrennte Haushaltsführung. Da habe ich der Inge gesagt, wir heiraten damit wir die 120.- Mark auch bekommen. Das hat funktioniert.

Trotz aller Bespitzelung, und obwohl meine Gegnerschaft zum Regime durch meine offenen Äusserungen bekannt war, merkte das keiner. SO BLÖD WAREN DIE!

In Dresden musste ich ein Übergangssemester absolvieren um zum Ingenieurstudium zugelassen zu werden. Dann ging es z.T. im Abendstudium weiter. Es ist gleichgültig ob man tagsüber studiert und nachts das benötigte Geld verdient oder umgekehrt. Jedenfalls bin ich ohne mein Schandmaul zu halten, ohne je ein Semester zu wiederholen, ohne dass es meiner Familie schlecht ging, ohne jede Art von Beihilfe und ohne meine regelmässigen Klettereien (damals in Hochform) zu unterbrechen, und auch ohne das vor der Abschlussprüfung zur Unterschrift vorgelegte Papier zu unterschreiben fertig geworden.

Mein Gehalt habe ich zwischendurch auch noch angehoben. Das zentrale Projektbüro der Metallurgie eröffnete eine Zweigstelle in Dresden und suchte Mitarbeiter. Ich sagte denen: “Ich habe jetzt die Ingenieurstufe 3. Wenn ich diese auch bei Euch bekomme wäre ich zu einem Wechsel bereit. Falls ihr das wollt könnt ihr mir ein Angebot machen“. In der Leichtindustrie war J3 = 810.-Mark, In der Metallurgie war J3 = 1065.-Mark. Bin dann mit dem Papier zum Institut. Wir haben uns auf 945.-Mark geeinigt. Die Anhebung auf 1065.-Mark und damit J4 oder gar J5 (die höchste) sollte nach Studiumsabschluss erfolgen. Das alles war möglich, wenn man nur den Mut dazu hatte. Jeder selbst ist seines Glückes Schmied, gehörte auch zu den Sprüchen meiner Großmutter.

Ich habe viele Projekte angepackt, an die ich in der freien Wirtschaft mit meiner geringen Erfahrung nie herangekommen wäre. Aber die Leute die dafür geeignet waren befanden sich bereits im Westen. Oft haben fehlende Finanzmittel die Ausführung verhindert und mich dadurch vor der Stasi verschont. Wenn aber etwas  daneben ging, was bei Prototypen immer wieder passiert, war das für die Stasi sogleich Sabotage. Aber je schwieriger desto interessanter und auch riskanter. Ich traute mir alles zu.

Wer die Wahnsinnsverschneidung am Goldstein als Erst Durch Steiger bewältigt, ohne zu wissen ob das überhaupt möglich ist (Ferngläser hatten wir damals nicht und die Ausrüstung war simpel) der hat auch Mut für andere Dinge.

Ein paar Worte zu meinem Ingenieurabschluss.

Ich war eigentlich in sehr schlechter Verfassung. Hatte eine Blutvergiftung im linken Oberarm. Die Heilmethoden waren in der Ostzone zu dieser Zeit ohne Antibiotika und primitiv. Der Arzt hatte gesagt ich solle mich ins Bett legen, kalte Umschläge machen und den Arm hoch lagern. Habe nur das letztere befolgt und den Arm ganz hoch ins Elbsandsteingebirge verlagert. Bin die Bloßstock Südwestkante, 13te Begehung, gegangen. Anschließend war alles stark geschwollen und es hackte als ich am Montag zur Prüfung ging.

Wer körperliche Beschwerden hatte sollte sich melden. Habe ich natürlich nicht getan, ich wollte doch fertig werden. Dann lag auch noch der Wisch auf dem Schreibtisch. Für jeden bereits namentlich ausgefüllt. Den Text weiß ich nicht mehr genau. Sinngemäß war es aber eine Verpflichtung, im Fall des Bedarfs für die Sicherheit des Staates alles Erforderliche zu tun. Indirekt war das die Verpflichtung wenn gefordert für die Stasi zu arbeiten. Ich habe nicht unterschrieben. Dann kam, bevor die Prüfung begann, so ein Lakai und sammelte die Zettel im A6 Format ein, ohne sie zu betrachten, und trug sie weg. Wahrscheinlich wurden diese nur irgendwo abgeheftet.  Man nahm wohl als selbstverständlich an dass jeder unterschrieben hatte. Meine Einstellung kannten die sowieso.

In einer Pause sprach ich mit den Kollegen. Es stellte sich heraus, dass ich als einziger nicht unterschrieben hatte. Die Kollegen meinten: “Du bist verrückt, die lassen Dich durchfallen“. Ich bin nicht durchgefallen. Evtl. war es denen nicht einmal aufgefallen dass meine Unterschrift fehlte.

Bei der Übergabe der Ingenieururkunden kamen die Kollegen meist im dunklen, oder zumindest in einen guten Anzug mit Kravatte, außer mir. Ich wollte anschließend gleich ins Elbsandstein und kam im karierten Hemd und einer verschlissenen Jacke, die ich wegen der damals noch ungepolsterten Rucksackriemen immer ins Gebirge anzog. Sie war mit Schulterpolstern ausgestattet. Den Hemdkragen hatte ich über die Jacke geschlagen. Dazu hatte ich eine Knickerbocker- ein Vorläufer der Kniebundhose, und der Rucksack war auch dabei. Zum Foto musste ich in die hintere Reihe, weil meine Kleidung doch nicht so recht in den Rahmen passte.

Ich bin der Sechste von rechts. Der über die Jacke herausgeschlagenen Kragen des offenen Hemdes ist erkennbar.

Der Weg in die Freiheit.

Als ich nach meiner Stasi Verhaftung in der Nacht den Heimweg antreten durfte hat man mir noch mitgeteilt, dass ich die nächsten 2 Jahre intensiv überwacht und evtl. noch einmal abgeholt werden würde. Damit war eine Westreise natürlich grundsätzlich ausgeschlossen. Wenn nachts ein Auto unter unserem Schlafzimmerfenster hielt, schauten wir ob es die Stasi ist.

Ich habe einen Weg gefunden. Der Überwacher war, wie ich heute weiss, der Parteisekretär des Institutes. Aber auch ohne dies hätte ich seine Unterschrift für die Freigabe eines Westreiseantrages benötigt. Die musste sich jeder holen.

Ich hatte mehrere Chefs. Einer davon war Nationalpreisträger. Diese waren mit vielen Privilegien ausgestattet. Er konnte u.a. in einer Wirtschaft vom Personal verlangen dass ein Tisch für uns frei gemacht wird, er durfte alles verbindlich unterschreiben, er durfte alle Betriebe besichtigen, er durfte sich mit seinem Dienstwagen in den Westen fahren lassen, dort für uns einkaufen und die Sachen unkontrolliert mit nach Dresden bringen etc. Er hat mir auch zu einem 4 wöchigem Jahresurlaub verholfen, während andere nur 2 Wochen bekamen. Er war kein Genosse. Er ließ sich etwa 6 Monate nach dem ich weg war, von seinem Fahrer ins Rheinland bringen, und sagte diesem er solle den PKW in Dresden abgeben, damit niemand sagen kann er habe das Ding geklaut.

Ich habe meinen Westreiseantrag gestellt als der Parteisekretaer in Urlaub war. Bin damit zum Schallenberg, so hieß der Nationalpreisträger, habe unterschreiben lassen, und wir konnten fahren, ganz normal mit dem Zug und ohne Geld dabei zu haben. Das erforderliche Geld hatte Schallenbergs Fahrer vorher in West-Berlin getauscht und nach München überwiesen. Es war alles ganz einfach und ohne Anpassung, wenn man nicht risikoscheu war.

Eigentlich wollte ich nur einmal Alpinurlaub machen, und mich umsehen wie die Chancen für Arbeit stehen. Aber die schon vorher abgehauenen Freunde in München sagten: “Bleibe, diese Chance kommt nicht gleich wieder“. Ich musste noch die Inge bearbeiten, denn der Matthias war noch in Krippen bei Kurt Poeche, einem guten Freund. Ich habe mit der PAN-AM gesprochen. Die sollten den Matthias über Westberlin ausfliegen. Aber der Kurt, ein erstklassiger und absolut zuverlässiger Freund meinte: “Regelt erst einmal Euer neues Leben. Beschafft Euch Arbeit und eine Wohnung. Den Matthias bringe ich Euch zu gegebener Zeit“. Auf Kurt war Verlass.

Die Inge hatte sofort Arbeit. Schneiderinnen waren damals in Deutschland gesucht. Ich brauchte etwas länger, weil ich einen Job mit Werkswohnung suchte. Ein Zeugnis hatte ich nicht dabei. Ich hatte es noch gar nicht. Das hatte der Schuhmann Erhard in Empfang genommen, weil ich noch vor Ausgabe der Zeugnisse zum Hauptbahnhof bin.

Die haben mir vertraut. Ich begann als Betriebsingenieur in der Diamalt AG. Ein Job den ich vorher noch nicht hatte. Ich musste jetzt Entscheidungen treffen, was ich nicht gewohnt war. Ich konnte niemanden in meiner Umgebung fragen, denn ich war der einzige Betriebsingenieur in der Firma, und zu meinem Vorgänger gab es nur 1 Monat Überschneidung.

Zunächst wohnten wir in München in einem kleinen Zimmer. Es wurde frei weil Ellen Goltsche so viel Heimweh hatte. Wir hatten nicht einmal einen eigenen Löffel. Wir waren in Bergsachen nach München gereist. Zur Vorstellung bei der Diamalt ging ich in einem geliehenen Jackett vom Gerschel bei dem das Futter total zerschlissen war. Die versprochene Werkswohnung bekam ich 6 Monate später. (Bis dahin hatte der Krümel (Werner Goltsche) der Ellen das Heimweh ausgeredet und sie reisten erneut in München an und bezogen jetzt wieder ihr ehemaliges Zimmer.) Aber wir hatten keine Möbel. Trotzdem – wir waren in keinem Flüchtlingslager und haben weder Flüchtlingsausweis noch Sozialwohnung beantragt. Wir durften aufgrund von Freizügigkeit in München bleiben.

Ich war nun ausserhalb der Ostzone. Doch der Stasi genügte das nicht. Die Überwachung ging weiter. Ich habe es an div. Besuchern auf Selbsteinladung gemerkt, ohne es beweisen zu können. Die Stasiakte lieferte nach dem Mauerfall den Beweis. Selbst  auf Auslandsreisen wurde ich überwacht. Aus den hier eingefügten  Kopien ist das ersichtlich. Sogar die Freunde, die in der CSSR in meinem Auto mit mir zu den Einstiegen der Klettertouren fuhren, wurden registriert. Die Überwachung von Werner Schlenkrich (Spitzname Schwager), der im kleinen Ort Wehlen wohnend der Stasi bis dahin nicht aufgefallen war, begann nachdem er bei mir im Auto mitgefahren war.

Die Stasi hatte erfahren, dass ich ins Böhmsche (wie wir sagten) fahren wollte. Nun mussten sie mich nur noch finden.

Die folgende Seite betrifft meinen Aufenthalt in der CSSR.

Mir war klar dass überwacht wurde. Ohne Grund war der Pankotsch sicher nicht auf dem Campingplatz von Sedmihorke anwesend. Dabei musste mich eigentlich keiner bespitzeln. Ich habe meine Meinung immer offen ausgesprochen, so dass sie jeder hören konnte

Warum die Geburtsdaten geschwärzt wurden weiss ich nicht. Keller Agathe  ist eine Frau die in München als Zeichnerin bei mir arbeitete, also mit der Ostzone überhaupt nichts zu tun hatte. Auch sie wurde registriert.

Auffällig war, dass einige Zeitgenossen sehr oft Westurlaub genehmigt bekamen und andere gar nicht. Zwei die da besonders auffällig waren sind Siegfried Missbach und Bernd Arnold.

SIEGFRIED MISSBACH hat sich kurz nach dem Mauerfall, nachdem die Stasizentralen gestürmt und die Unterlagen zur Einsicht vorbereitet wurden, das Leben genommen. Warum kann niemand sagen. Aber vielleicht gab es da und dort noch so etwas wie Schamgefühl, oder auch Angst.

BERND ARNOLD war eines Tages mit Wulf Scheffler bei mir erschienen, mit dem Wunsch mit mir zu klettern. Schwager hatte von Arnolds Onkel erfahren dass der Bernd mit Stasileuten verkehrt. BA’s Antwort war, da gehen auch noch andere ein und aus. (So wie der Fritzl, als die Mutter das Schulzeugnis beanstandete und sich damit herausredete, dass der Maxl noch schlechtere Noten hat.) Diese Aussage ist durch die Anwesenheit von Wulf Scheffler belegt. Er meinte man müsse mit den Leuten reden.

Unsere Politiker mussten in der Zeit der atomaren Hochrüstung auch mit Ostfunktionären reden, weil das besser ist als schiessen. Wenn Leute wie Bernd Arnold so etwas auch für sich in Anspruch nehmen, ist das ein Zeichen absoluter Selbstüberschätzung. Die Stasi, das waren in meinen Augen Verbrecher, und mit Verbrechern rede ich nicht. Das habe ich ihm auch gesagt.

Diese Kontakte dienten in meinen Augen der Vorteilsnahme was die vielen Westbesuchsgenehmigungen zeigten. Ich habe auch daran erinnert, dass das schon auffällig ist, weil der Schwager (Werner Schlenkrich) nie einen Westbesuch genehmigte bekam. Im Jahr darauf bekam der Schwager (Schwager ist der Spitzname) ganz zufällig einen Westbesuch genehmigt. Falls meine Worte das bewirkt haben, waren sie nicht unnütz.

Der ostdeutsche Skispringer Helmut Recknagel, der später in Tiermedizin promovierte, hat einmal gesagt, dass die Spitzensportler wenn sie zu Wettkämpfen ins Ausland fuhren (auch die Bundesrepublik war damals für die Ostzone Ausland) immer einen Auftrag zum sammeln bestimmter Informationen bekamen. Ich vermutete, dass dem unerwünschten Besuch des BA bei mir auch ein solcher Auftrag zugrunde lag. Schon deshalb kam eine gemeinsame Kletterei für mich nicht infrage.

Kurz bevor BA endlich ging, zog er irgendein Foto heraus, auf dessen Rückseite ich ein paar Worte schreiben sollte. (Ich dachte, vielleicht wird ein Beleg des Besuches benötigt.) Ich schrieb auf die Rückseite: HÄNGT DEN HONNECKER AUF – HARRY ROST.

Wobei ich mir etwaiger Folgen durchaus bewusst war, falls der Osten die Oberhand bekommen hätte. Aber ich hatte auch ein lebenslanges Visa B1+ B2, beruflich und touristisch, für die USA. Desgleichen die Inge. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen dass der Osten die Oberhand bekommt, aber wenn schon hätte ich sowieso weiter nach Westen gewollt.

Zur nächsten Kopie:

Ich wurde von ungebetenen Besuchern auch oft gefragt ob ich nicht wieder einmal ins Elbsandsteingebirge kommen wolle. Wahrscheinlich habe ich da einmal geäussert, evtl. komme ich nächstes Jahr. Ich weiß das nicht mehr. Vielleicht hat das auch so ein IM einfach erfunden. Daraus muss diese Nachricht entstanden sein. Die Unterlagen die ich einsehen konnte gehen bis 1986.

Mir wurde von der Gauck Behörde gesagt, man wolle einen Abschluss machen und ich solle die Fortsetzug neu beantragen. Die Namen waren z.T. geschwärzt, und ich kannte sie auch nicht. Für mich war der Rest uninteressant. Ich habe nicht beantragt. Die Stasiaktivitäten sind per Telefon weiter gegangen, bis zum Mauerfall.

Zur o.a. Kopie:

Es gab keine faschistische Vergangenheit. Ich wurde zweimal aus der HJ entfernt. Austritt war nicht moeglich. Dem 2ten Ausschluss habe ich nachgeholfen. Für viele war so etwas damals ehrenrührig, für mich nicht. Zu dem Thema gibt es einen Aufsatz unter Gedanken in meiner Homepage. Fritz Leder, der o.a. kommunistische Polizeipräsident von Dresden weiss das alles. Er war dabei. Er war bei den Nazis Mitläufer und auch bei den Kommunisten Mitläufer und noch etwas mehr.. Trotzdem wurde solcher Quatsch geschrieben. Fritz Leder konnte allerdings auch Leuten wie Bernd Arnold bei Genehmigungen für Westreisen behilflich sein. Da gab es Kooperation.

Nach dem Mauerfall hat er sich zurückgezogen. Nachdem er gemerkt hat, dass im Westen niemand nach Stasimethoden bestraft wird und vieles auch verjährt, soll er sich angeblich wieder hervorgetraut haben und gelegentlich auch schon wieder die grosse Fresse haben. Ich schreibe das nicht um solchen Typen zu Schaden. So ernst sollte man die nicht nehmen, aber man sollte sie verachten in alle Ewigkeit, und alle sollten das wissen.

Harald Mühlhaus

Im alter von 8 Jahren hatte ich eine 10 jährigen Spielgefährten namens Harald Mühlhaus. Wir nannten ihn Leo. Seine Mutter war Jüdin. Gemischte Paare wurden damals von den Nazis zur Trennung aufgefordert. Der arische Teil erhielt dabei das Vermögen, der jüdische Teil ging leer aus.

Nach erfolgter Trennung ging Haralds Mutter mit ihrem Sohn nach München. Ich glaube kaum, dass die Beiden in Deutschland überlebt haben. Der Stasi muss diese Sache bekannt geworden sein. Jedenfalls kann ich mir das nicht anders vorstellen. Als mich ein Harald Mühlhaus anrief und mir sagte, er wolle sich gern mal mit mir treffen, um über unsere Kindheit zu plaudern, war mir sofort klar woher der Wind weht. In diesem Alter haben sich doch noch keine Interessen herausgebildet. Was gibt es da zu quatschen. Ich konnte nur annehmen, dass die Stasi dahinter steckt. Ich sprach den Typen mit Leo an, damit konnte er nichts anfangen. Ich sagte ich hätte momentan keine Zeit. Er wollte sich wieder melden.

Später erzählte er auch einmal er haette neu geheiratet. Ich fragte ob es eine Münchnerin wäre. Nein, eine Dresdnerin. Er hätte wegen der Trümmer des Hauses nach Dresden gemusst, und da hätte er die kennen gelernt. Eine Münchnerin hatte die Stasi sicher nicht als Agentin auf Lager. Eigentlich hatte ich Angst vor der Begegnung. Es hatte da ja schon einiges gegeben von Entführung bis Mord. Ich fand immer wieder einen Grund für Aufschub.

Im Frühsommer 1989 kam wieder ein Anruf. Inzwischen war einiges aufgeweicht und es gab auch den Gorbi. Ich sagte: “Ich fahre jetzt weg. Ich bin Rentner und bleibe Lange. Rufe mich um Weihnachten noch mal an. Da bin ich einige Tage daheim und gehe danach zum Skifahren. Diesmal komme ich bestimmt“. Ich dachte zwischen Absprache und dem Treffen ist noch Zeit für Absicherung.

Der Anruf kam nicht und auch kein Weiterer. Die Mauer war gefallen.

DIESER STAAT MUSSTE PLEITE GEHEN BEI SO VIEL AUFWAND UM EINEN EINFACHEN ARBEITNEHMER!

Wie der Matthias in den Westen kam

Für die Zeit die wir als Westurlaub geplant hatten, haben wir den Matthias bei Kurt Poeche im kleinen Dorf Krippen im Elbsandstein untergebracht. Als wir den Matthias ausfliegen lassen wollten, hat der Kurt sich für eine ordnungsgemäße Überführung zu einem gegebenen Zeitpunkt verbürgt.

Auf Kurt war Verlass, das hatte er mehrfach bewiesen. So z.B. als Gerhard Oertel und ich einen Vopo provoziert hatten. Wir rannten davon, sprangen auf die Fähre, überredeten den Fährmann nicht zurück zu fahren, wie der Vopo es forderte. Rannten in Krippen durch den Tunnel und verschwanden in Kurts Werkstatt. Der hat uns in seinen geschlossenen Dreiradlieferwagen gepackt und wollte uns zum Bahnhof Krippen fahren. Dort warteten schon die alarmierten Vopos. Weiter ging’s nach Schandau. Dort auch wartende Vopos. Den Lieferwageninhalt konnte niemand einsehen. In Königstein konnten wir endlich in den Zug einsteigen.

Nun lag alles was mit Matthias zusammenhing in Kurts Händen.

Er fuhr zunächst nach Dresden um den Matthias als Adoptivsohn eintragen zu lassen. Ohne die Eltern war das nicht einfach. Er erzählte den Damen der zuständigen Stelle, da hätte ein Ehepaar die sich gelegentlich als Urlaubsgäste bei ihnen aufgehalten haben angefragt, ob Kurt ihr Kind für die Zeit einer kurzen Westreise aufbewahren könnte. Nun haben diese Leute mitgeteilt dass sie nicht zurück kommen wollen. Was sollen wir nun mit dem Kleinen tun. Die Antwort war, dann geben wir ihn in ein Heim. Darauf hat der Kurt geantwortet: “Wir haben den Kleinen schon so lieb gewonnen, können wir ihn nicht behalten“. Darauf wurde die Adoption auch ohne Einwilligung der abtrünnigen Eltern genehmigt.

Der Kurt hatte eine Fahrradwerkstatt. Später reparierte er auch Motorräder und Autos, wovon es damals noch sehr wenige gab. Nahezu die Einzigen die so etwas hatten waren die Vopos. Meist waren das Dienstmaschinen. Aber wenn die Dinger nahezu schrottreif waren, konnten die Vopos diese auch erwerben. Sie brachten die Motorräder dann zum Kurt zur Generalüberholung und sagten, er solle die Rechnung auf den neuen Dienstwagen schreiben. Damit hatte er die Vopos in der Hand.

Als die Zeit reif war, ging der Kurt zum Polizeibüro. Er sagte denen: “Ich habe Euch bei Euren Motorrädern oft geholfen. Jetzt müsst ihr mir helfen. Ich brauche eine Genehmigung dass meine Frau den Matthias zwecks Familienzusammenführung nach München bringen darf, und seine Sachen wie Bettzeug etc muss er auch mitnehmen dürfen. Wenn ihr mir das nicht gebt, lasse ich euch alle hochgehen, auch wenn ich dabei selbst Schaden nehme.“ Dem Kurt traute das jeder zu.

Er bekam alles und unser Bettzeug wurde auch beigepackt. Bis dahin schliefen wir in München Allach in Schlafsäcken auf dem Fußboden.

Wer keine Angst hatte, konnte auch im Osten viel erreichen.

Harry Rost, fertiggestellt kurz vor der Europawahl 2014