Sein Name ist Werner Schlenkrich. Wir nannten ihn Schwager.
Vor einigen Tagen ist der Schwager verstorben. Sein Sohn Heiko hat mir die traurige Nachricht übermittelt. Er war einer meiner besten und aufrichtigsten Freunde, ein zuverlässiger Mann mit besten Charaktereigenschaften. Es schmerzt mich sehr.
Weil das so ist will ich hier ein paar Zeilen hinterlegen.
Ich war seit 1942 Mitglied beim Klub T.C. Bergfreunde 16. Wir hatten eine sehr schöne ideal gelegene Hütte direkt unter den Schrammsteinen. Als Erich Fichtner zum Überläufer wurde (ich habe geahnt was wir seit Freigabe der Stasi Unterlagen wissen, er hat alle seine Klubkameraden an die Stasi verpfiffen) und für die Kommunisten arbeitete, habe ich diesen Klub verlassen.
Ich trat der RKV bei, einem nicht registrierten Klub bei dem es gegenüber den Kommunisten nur Abneigung gab. Das höchste Gut für einen echten Bergsteiger ist die Freiheit. Kommunisten sehen das ganz anders. Die RKV hatte keine Hütte und auch keine Chance für eine Hütte. Wir übernachteten unter Überhängen. Im Winter wurde das aber sehr ungemütlich. Nachdem der Klub schon illegal war, bauten wir unsere Hütte auch illegal. (siehe auch „Die RKV Hütte“ in meiner Homepage)
SCHWAGER war Gründungsmitglied der kleinen RKV (Rauschenstein Klettervereinigung) der ich nun beigetreten war. Ich brauchte keine komfortable Hütte, ich wollte zuverlässige Bergkameraden.
In der Ostzone war es damals schwer ein Zimmer, oder gar eine Wohnung, zu bekommen. Schwager hatte großes Glück. Seine Schwester erbte ein altes Haus das allerdings total überholungsbedürftig war. Sie konnte mit der alten Bude nichts anfangen, und verkaufte es an ihren handwerklich sehr geschickten Bruder. Allein die Beschaffung der für den Umbau erforderlichen Materialien war ein Kunststück und ein Kraftakt. Nach der Fertigstellung war es für die damalige Zeit ein Prachtstück. Der Schwager war in unseren Augen ein Glückspilz.
Dann kam der 17.Juni 1953. Die Regierenden der Ostzone mussten etwas Druck ablassen. Das Haus verkaufen konnte der Schwager zu diesem Zeitpunkt nicht. Es wäre sofort aufgefallen dass da einer abhauen wollte. Während wir anderen uns in die Freiheit, also in den Westen verabschiedeten, wollte er die Entwicklung abwarten. Das Tor zum Westen schnappte sehr schnell zu. Wenn da nicht so schnell dicht gemacht worden wäre, hätten die Funktionäre selber arbeiten müssen.
Nun war der Schwager leider ein Gefangener des Regimes. Aber er hatte immer mehr Freiheiten als Andere. Er lebte abgelegen an der Elbe am Eingang zum Elbsandstein. In den ersten Nachkriegsjahren, als alle hungerten ging er mit seinem Vater zum fischen. Danach wurde er wieder im gelernten Beruf als Elektriker tätig. In seiner Nähe gab es keine Arbeitsplätze für Elektriker. Meist war er weit auswärts auf Montage, an ständig wechselnden Orten bis zur Ostsee. Er hatte sich damit der Kontrolle der kommunistische Überwachungsorgane weitgehend entzogen, und bezog nebenher noch Trennungsentschädigung. Seine Frau die Ursel vermietete im Sommer Zimmer an einen Bekanntenkreis. Auch an Bergsteiger aus Westdeutschland, was ich vemittelte
Der Schwager hatte die Meisterprüfung gemacht, und bildete sich in Elektronik weiter. Aber weil er sich grundsätzlich von allen Kommunisten distanzierte, wurde das nicht finanziell belohnt. Dann wurde die Stelle des Lagerverwalters frei. Er hat sich darum beworben und bekam sie. Jetzt schob er tagsüber eine ruhige Kugel und war am Abend, bis spät in die Nacht in dem schmalen Streifen Land tätig, dass zum Haus gehörte. Er baute dort alles an was in der Ostzone knapp war. Er kelterte auch Wein. Auch handwerklich war er gelegentlich nach Feierabend tätig. Er saß ja jetzt an der Quelle, hatte das was andere nicht hatten, Material. Auch der Parteisekretär der Firma konnte oft diverse Materialien gebrauchen. Nach dem Prinzip – eine Hand wäscht die Andere – war es plötzlich nicht mehr so wichtig, dass er kein Kommunist war. Alle brauchten, und alle bekamen. Das neue Schlagwort in der Firma hieß: “Privat geht vor Katastrophe“. Es gab lange Stillstandszeiten durch Materialmangel. Däumchendrehen war angesagt. Einer musste den Mut haben und alle machten mit. Ideologien waren längst vergessen.
Das galt allerdings nur innerhalb dieser Firma. Mit einem Privatunternehmer wäre so etwas natürlich nicht möglich. Aber die Kommunisten hatten ja fast alles verstaatlicht.
Schwager und ich blieben immer in Kontakt. Während der Dubcekzeit trafen wir uns gelegentlich im böhmischen zum Klettern. Dort hat dann die Stasi registriert wer alles bei mir im Auto mitfuhr. Dadurch war der Schwager auffällig geworden. Ab diesem Zeitpunkt beginnt seine Stasiakte. Nun wurde auch er überwacht. Für eine Westreise gab es danach keine Chance.
Die Stasi beschäftigte so genannte IM’s. (informelle Mitarbeiter) Die hatten ungeliebte Personen aus zu spionieren und das Ergebnis an die Stasi zu melden. Dafür wurden sie belohnt, z.B. mit Westreisegenehmigungen. Aber auch ich hatte meinen IM, allerdings in der Gegenrichtung, das war der Schwager. Alle neuen Kontakte wurden sofort abgefragt. Habe das auch nach dem Mauerfall noch etwa 12Jahren beibehalten. Wollte ich doch wissen wem ich die Hand geben kann, wenn ich ins Elbsandstein fahre. Als z.B. der Arnold mit dem Wulf ungebeten bei mir ankam, konnte ich ihm auf den Kopf zu sagen, dass er mit der Stasi verkehrt. Er hat auch gar nicht versucht das abzustreiten. Der Schwager hatte alles bei Arnolds Onkel abgefragt. Es gab mehr in dieser Richtung, nur ist das die bekannteste Person.
Nach dem Mauerfall habe ich den Schwager mehrmals eingeladen. Für einen Mann der als Rentner erstmalig in die Alpen kommt sind die großen Wände eine Herausforderung. Immerhin sind wir u.a. die Gelbe Kante und weitere schwere Dolomitentouren, sowie die Nordwand am Lötschentaler Breithorn und andere Westalpentouren zusammen gegangen. Es hat ihn sehr angestrengt, aber er hat alles gemeistert.
Der Schwager war ein bescheidener, zuverlässiger und sehr guter Freund, wie es ihn nicht so leicht noch mal gibt. Dass er inzwischen in einem Heim lebte wusste ich. Aber ich hatte gehofft ihn noch mal zu treffen wenn, ich im Sommer ins Elbsandstein fahre, und ich hatte auch gehofft dass er mich noch erkennt. Es sollte nicht sein. Leider!
Walter Sobe sagte einmal, als er schon über 90 war, Harry – im Alter werden die guten Freunde immer weniger. Für mich ist es jetzt auch wieder einer weniger.
22.05.2014 Harry Rost